: Stoltenberg: Kein Berufsheer
■ Diskussion über Berufsheer ist „Scheindebatte“/ Sozialwissenschaftler bezweifeln Wirksamkeit der Bundeswehrstruktur in Krisenzeiten
Rom/Bonn (dpa) — Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg hat die Diskussion in der Bundesrepublik über die Einführung einer Berufsarmee als „Scheindebatte“ bezeichnet. „Es bleibt bei der zwölfmonatigen Wehrpflicht“, sagte Stoltenberg am Dienstag in Rom. Stoltenberg führte dort Gespräche mit der politischen und militärischen Führung Italiens über den Golfkonflikt.
Auch andere Politiker haben es lautstark verkündet: Die Bundeswehr muß eine Wehrpflichtarmee bleiben — doch viele Offiziere machen kein Hehl daraus, daß sie angesichts der steil hochgeschnellten Verweigererzahlen „im Grunde in Zukunft lieber eine Berufsarmee hätten“. Eine solche Streitmacht, zusammengesetzt aus Berufssoldaten und länger dienenden Freiwilligen, würde nicht die Probleme aufwerfen, wie sie jetzt unter dem Eindruck des Golfkrieges entstanden sind, wird von einer größeren Zahl von „Aktiven“ der Bundeswehr argumentiert.
Die Januarzahlen der Kriegsdienstverweigerer — 22.197 — hatten die Militärs und Politiker aufgeschreckt. Die Zahlen hatten prompt eine Debatte über die künftige Struktur der Bundeswehr ausgelöst. Der Bundestag hatte seinerzeit mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die denkbar engste Verbindung der Bevölkerung mit den für ihren Schutz verantwortlichen Soldaten herbeiführen wollen.
Zweifel an der Wirksamkeit der derzeitigen Bundeswehrstruktur in Krisenzeiten hat der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, Professor Bernhard Fleckenstein, geäußert. In der 'Quick‘ erklärte er: „Wir können die Wehrpflicht in der gegenwärtigen Form nicht mehr lange aufrechterhalten. Wir brauchen eine Armee von hochprofessionellen Freiwilligen.“ Sie könne durch eine Milizkomponente aus Wehrpflichtigen ergänzt werden. Der Geschäftsführer des Bundeswehr-Reservistenverbandes, Bernhard Rothenberg, sagte der gleichen Illustrierten, das Geschehen am Golf sei Anlaß, jetzt auch die Wehrpflicht zu hinterfragen. Nach Ansicht von Fleckenstein ist die Gesellschaft in der Bundesrepublik so orientiert, „daß Frieden ein absoluter Zielwert ist“. „Nur: Wenn ich mir eine Feuerwehr leiste und Geld für Feuerwehrautos ausgebe, dann muß diese Feuerwehr auch zum Löschen fahren. Egal ob es beim Nachbarn brennt oder bei mir zu Hause“, äußerte Fleckenstein.
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