: Colonel Scott: Patriot
Saginaw, Michigan (taz) — Mit „Ninetyeight Point One, WKCQ Country Station“ auf der Sendeskala des Autoradios rollen wir ein in Saginaw, einer unscheinbaren County-Hauptstadt im Bundesstaat Michigan. Obwohl der Ort 77.000 Einwohner haben soll, ist an diesem Dienstag morgen kaum jemand auf der Straße anzutreffen. Nur die verblichenen Reklameflächen an den Brandmauern der freistehenden Häuser verweisen auf vergangene kommerzielle Aktivitäten. „Feige's Fine Furniture. Seit 1854“ — länger als 100 Jahre scheint sich das Möbelgeschäft nicht rentiert zu haben. „I am proud to be Americaa-haan... “, schallt die sonore Stimme eines mikrophonerprobten Cowboys aus den Autolautsprechern.
Einfahrt in das fünfstöckige Parkhochhaus des modernen „Civic Center“. Ach, hier sind sie alle. 1.500 ältere Ladies aus Saginaw und Umgebung sowie ein Dutzend mitgebrachter Männer warten im Auditorium des Bürgerzentrums auf den heutigen Vortrag im Rahmen der regelmäßigen Vorlesungsreihe.
Colonel Charles W. Scott, einer der 52 amerikanischen „Hostages“ während der Geiselaffaire im Iran, präsentiert: „Die Renaissance des Patriotismus in Amerika“. Ein Vortrag, so spannend wie die Super Bowl (das Football-Weltmeisterschaftsendspiel, R. P.) und so zeitgemäß wie die Morgennachrichten, warnt der Programmzettel.
Ohne weitere Umschweife greift „Chuck“ Scott zum Mikrophon. Doch wer von dem persisch sprechenden Spionage- und Terrorismusexperten eine trockene Analyse der amerikanisch- arabischen Verhältnisse erwartet hat, sieht sich getäuscht. In einer elegant gestrickten Mischung aus Büttenrede und Leidensgeschichte erzählt der pensionierte Armeehauptmann aus seinem Leben — und von den 444 Tagen in der Gefangenschaft des Ayatollahs.
Mit einer gehörigen Portion Galgenhumor berichtet er von der Folter durch die Hände seiner iranischen Peiniger, die heute ihr Land als Diplomaten in aller Welt vertreten. Doch Colonel Scott war einfach nicht zu brechen: Er hatte sich an die Grundregeln des „Gehirnwäsche-Handbuchs“ erinnert, sich in solchen Situationen „realistische Mikroziele“ zu setzen: Treue zu seinem Präsidenten, auch wenn der damals Jimmy Carter hieß; keine für seine Mitgefangenen schädlichen Informationen und kein Wort gegen Amerika.
Message Nr.1 für das Publikum: „Auch in schwierigen Situationen nie den axiomatisch amerikanischen Humor verlieren, mit dem sich ein gottgegebenes übernatürliches Reservoir an Stärke anzapfen läßt“.
Nur einmal geriet der tapfere ins Zweifeln. Und das war gleich zu Beginn seiner Gefangenschaft, am 19.November 1979 bei der Übernahme der US-Botschaft durch die Revolutionären Garden Khomeinis. „Ich wußte einfach nicht, wie man aufgibt“, erinnert sich Scott, „weil das in unserem Land und in unserer Kultur einfach nicht vorkommt, Aufgeben“.
Gespannt warten die Grauschöpfe im Publikum mit ihren zugepuderten Runzeln und einem Overkill an Goldschmuck auf die nächste frohe Botschaft des Redners, die da lautet: „Die Geiselaffaire von Teheran war das erste Mal, daß Amerika nach seiner Spaltung in den 60er und 70er Jahren durch Vietnam und Watergate als Nation wieder zusammenfand.“ Die Renaissance des Patriotismus im Golfkrieg, so Hauptmann Scott, sei das direkte Ergebnis aus den kollektiven Erfahrungen des iranischen Geiseldramas.
Damit hat das religiöse Motiv in Scotts einstündigem Vortrag seine Auflösung gefunden. Sein Opfer als Geisel für Amerika hat sich gelohnt. Gegen Saddam steht die Nation wieder wie ein Mann hinter ihrem Präsidenten. Das Publikum dankt ihm für seine inspirierenden Botschaften mit einer stehenden Ovation.
In der Tat scheint der neu exaltierte Ausdruck nationaler Gefühle in den USA nicht nur eine verspätete Antwort auf die vaterlandsverräterischen Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen darzustellen, sondern auch den Versuch einer Neudefinition dessen, wofür denn Amerika heute steht. Bleibt die von Colonel Scott nicht aufgeworfene Frage, warum denn Amerikas Versuche einer Selbstdefinition immer in fremden Ländern ausgefochten werden müssen.
Das Problem mit dem amerikanischen Patriotismus und seinem inhärenten Überlegenheitskomplex ist, daß er sich leider nicht auf stolze Songs im Autoradio beschränkt. Rolf Paasch
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