Kommunen der einstigen DDR sind nahezu zahlungsunfähig: Zweites Süditalien im Osten Deutschlands?
■ Heute stellen die fünf neuen Länderchefs ihre Finanzforderungen an Bund und alte Bundesländer vor. Denn auch mit den zehn Möllemann-Milliarden wäre die Katastrophe nicht abwendbar, ebensowenig mit fünf Milliarden Mark aus dem Fonds Deutsche Einheit.
Wie können die Finanzen der fünf neuen Bundesländer auch stimmen, wenn sich selbst alltäglichste Kleinigkeiten nicht rechnen: die Tasse Kaffee im Bahnhofsimbiß kostet längst ihre 1,70 Mark, die einstündige Zugfahrt ins 6.000-Seelen- Städtchen Zossen im Süden Berlins dagegen ganze 50 Pfennig. Zossen ist „Hauptstadt“ des gleichnamigen Kreises im Brandenburgischen. Und Zossen ist — wie beinahe alle Gemeinden in der Ex-DDR — von Rechts wegen pleite. Was große Städte wie Leipzig, Dresden oder Rostock spektakulär an die große Glocke hängen, erleidet der Mikrokosmos Kreisstadt im kleinen.
In der freien Wirtschaft müßte Dietmar Nagel spätestens am kommenden Montag Konkurs anmelden. Aber Nagel ist nun mal Finanzdezernent der Stadt Zossen, und als solcher wüßte er gar nicht, „wohin ich da gehen sollte“, denn „Konkursrichter gibt es dafür ja keine“. Doch der Finanzmann im roten Backsteinrathaus hat vorerst eine andere Adresse gefunden, um die Probleme wegzuschieben: die nächsthöhere Regierungsebene, die Kreisverwaltung. Dem Kreis Zossen nämlich müßte die Stadt Zossen jedes Jahr 220 Mark pro Nase seiner Einwohner als Kreiszuschuß überweisen, und das in Monatsraten. Aber schon die erste Rate im Januar hat die Stadt nicht gezahlt, und Anfang der Woche hat der Finanzdezernent auch für Februar um eine Stundung dieser gut 100.000 Mark gebeten — weil er das Geld „einfach nicht hat“ und auch nicht einsieht, daß der Kreis so viel von den Gemeinden abkassiert.
550 Mark pro Einwohner bekommen die Städte und Gemeinden jährlich als „Schlüsselzuweisung“ vom Land Brandenburg in die Haushaltskasse — rund 150 Mark zuwenig, meinen übereinstimmend viele Bürgermeister im Kreis. 40 Prozent dieses „Zuwenig“ sollen sie jetzt auch noch an die Kreise abführen, „ein schlechter Witz“, findet nicht nur Zossens Finanzdezernent Nagel. Was über diese Schlüsselzuweisung vom Land hinausgeht, müssen die Kommunen über diverse Steuern selbst aufbringen, von der Gewerbe- oder Einkommensteuer, über die Vergnügungs- bis zur Hundesteuer. Aber die Steuereinnahmen fließen nicht nur in Zossen spärlich. Nicht allein, daß Hundebesitzer die Finanzverwaltung nerven, ihr Fiffi müsse unbedingt als steuerbegünstigter Wachhund eingestuft werden. Viel schlimmer: Die steuerbringenden Investoren fehlen, und die kommunalen Unkosten steigen täglich. Zwar wartet die Kreisstadt seit der Währungsunion mit zwei Westsupermärkten und mindestens fünf neuen Eduscho- und Tchibo-Läden auf. Doch neue finanzkräftige Unternehmer, die das Stadtsäckel auffüllen könnten, hat Zossen bisher nicht gesichtet. Statt dessen versuchen findige Makler, den Bürgern der Stadt für „'nen Appel und 'n Ei“ die Grundstücke abzuschwatzen. Deshalb hat sich die Stadt trotz aller Finanznot jetzt entschlossen, selbst Grundstücke von ihren Einwohnern aufzukaufen, um wenigstens Gewerbeflächen für solche Investoren parat zu haben, die auch steuerträchtig sind und darüber hinaus dringend notwendige Arbeitsplätze sichern.
Doch noch ist man nicht soweit. Noch kalkuliert die 6.000-Einwohnerstadt mit geschätzten Einnahmen von 5,5 Millionen und Ausgaben von 7,7 Millionen Mark für das laufende Jahr. Und schon im März wird Zossen mit einem Fehlbetrag von einer Million Mark dastehen.
Dabei haben die Zossener Finanzpolitiker schon den größten Ausgabenbatzen kurzerhand aus dem Haushalt herausgeschummelt: die rund sechs Millionen Mark, welche die Nachfolgerin der einstigen Kommunalen Wohnungsverwaltung für Instandsetzung und Fertigstellung von Häusern und Wohnungen dieses Jahr benötigt. Für diese Kosten, die beinahe den gesamten Jahresetat der Stadt ausmachen, erklärten sich die Stadtväter einfach nicht zuständig. Wer die Kosten übernehmen soll, ist völlig unklar. Zossen hat mit anderen Ausgaben genug zu tun: Schulgebäude, Sozialstationen, vier Kinderkrippen und zwei Kindergärten, Straßenbauten, ein längst geschlossenes Kino und vieles mehr wollen finanziert werden. Noch mußte die Stadt keinen MitarbeiterInnen in den sozialen Einrichtungen kündigen, keine Heizungen drosseln, keine Kindergärten schließen. Doch insgeheim hofft man schon, eine der Kindereinrichtungen möge sich als asbestverseucht erweisen, damit die gebeutelte Kommune das Gebäude schließen und die Betriebskosten sparen kann.
Anfang des Jahres wurden die Eltern der Krippen- und Kitakinder erstmals zur Kasse gebeten. Einen Tagessatz von 1,50 bzw. 2 Mark sollen sie nun für die Betreuung zahlen, was den Stadtoberen stundenlange Diskussionen und eine Demonstration empörter Eltern vor dem Rathaus einbrachte. Aber selbst wenn die Stadt Zossen ihre Bürger mehr zur Kasse bittet, könnte sie das Finanzloch nicht stopfen. Bei der 10prozentigen Tarifforderung der ÖTV für die öffentlich Bediensteten, wird dem Finanzdezernenten ganz schummrig, und spätestens wenn die Stadt und nicht mehr der Kreis für die Sozialhilfekosten aufkommen muß, geht nichts mehr — an längst überfällige Aufwendungen für die fehlende Kanalisation, den Bau einer Umgehungsstraße oder die Renovierung der vom Verfall bedrohten Markthäuser ist derzeit ohnehin nicht zu denken.
Vorerst mogelt sich die Stadt noch am Konkurs vorbei, indem sie die geforderte Kreisumlage schlichtweg nicht zahlt. In der nur wenige Meter entfernten Kreisverwaltung wird man darüber vor „Begeisterung“ im Dreieck springen. Denn dem hübsch ausgeglichenen Kreis-Haushalt — mühsam nach dem Vorbild der Partnerstadt Paderborn erstellt — passiert damit jetzt schon das, was der stellvertretende Finanzdezernent des Kreises prophezeit: „Wir haben den Haushaltsplan nach bestem Wissen und Gewissen erstellt, aber wir wissen eigentlich, daß er nicht stimmen kann.“ Denn der 110-Millionen-Etat des Kreises wird zu einem guten Teil aus den 220 Mark gespeist, den die 51 Städte und Gemeinden des Kreises ihrer Zentralverwaltung pro Nase zahlen sollen. Und wenn die Zahlungsunfähigkeit und -unwilligkeit der Stadt Zossen Schule macht, dann ist absehbar, daß bald auch der Kreis vor dem Konkurs steht.
In ihrer Not hat die Kreisverwaltung einen Kassenkredit über maximal drei Millionen Mark bei der Sparkasse abgeschlossen, eine Option für einen Überziehungskredit, der kurzzeitig zwar Zahlungsfähigkeit gewährleistet — aber da teuer verzinst —, den Kreis langfristig noch schneller in die Pleite treibt. Dann wäre der Teufelskreis geschlossen. Vera Gaserow, Zossen
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