: Mit dem Arsch zur Weser
■ “Kalkutta, Bremen oder sonstwo“: Architektur-Professor Klaus Kammerer über den Bremer Stadtbau und die Beliebigkeit
Bahnhofsvorplatz, Tombola und die Freiheit der urbanen Steppe samt BewohnerFoto: Sabine Heddinga
Klaus Kammerer, seit 15 Jahren in Bremen, Hochschullehrer für Architektur, vermißt hier eine diskutierende Öffentlichkeit. Welche er zuletzt mit dem Architekturforum in der Reihe „Lebendige Stadt“ zu befördern suchte. Für die taz Anlaß zu einem kleinen Gespräch.
taz: Finden Sie Bremen schön?
Die ehemals so prächtige Hansestadt mit den stolzen, prunkvollen Fassaden zur Weser dümpelt jetzt mit dem Arsch zum Wasser irgendwo als Kommerzgeschichte vor sich hin. Die Innenstadt könnten Sie in Cloppenburg, Bielefeld, Essen hinstellen, es gibt nichts Bremisches daran. Es gibt keine Leitbildplanung. Jede Stadt braucht eine Vision, einen Maßstab, an dem man sich messen kann. Wenn man die Stadt als Bühne sieht: es ist, als gingen die Architekten auf die Bühne, ohne Stück, ohne Intendanten, und machten einfach irgendwas.
Wollen Sie stadtplanerisches Re
hierhin bitte das
Foto von dem städtischen
Platz, Blick durch'n
Gitter, Mensch links
gietheater? Eine zentralisierte Planung?
Diesen Vorwurf hat beim Forum am Leibnizplatz Manfred Osthaus, Senatsdirektor für das Bauwesen, auch gemacht. Die Leitbildvorstellung sei eher feudalistisch als republikanisch. Aber der Konsens der bürgerlichen Kräfte, die morgens in den Bürgerpark reiten gingen und die Architekten auch zu Pferde trafen, ist auch längst weg. In der Innenstadt bauen Architekten für Filialisten, fremde Konzerne, die mit Bremen nichts zu tun haben.
Vermissen Sie genauere Vorgaben?
Nein, Gestaltungssatzung ist kein Instrument. Es gilt Öffentlichkeit herzustellen. Auch in Ihrer Zeitung wird zuviel über Clownsseminare und zuwenig über Städtebau geschrieben. Wir brauchen einen öffentlichen Raum. In Bremen steht das Modell der Stadt irgendwo in der 3. Etage des Stadtplanungsamtes. Jeder Mensch müßte frühmorgens am Bahnhof
sehen, was gerade passiert. Es müßte einen Raum geben, wo man die Pläne sehen und diskutieren kann. Und eine Rahmenstruktur ist nötig: Was das heißen soll, daß es ein Oberzentrum ist, daß es an der Weser liegt. Dazu bräuchte man eine Art „Intendanten“, der genug Zeit hätte, und einen Gestaltungsbeirat aus Architekten, auch „außerirdische“ von außerhalb. Die guten Sachen hier werden von auswärtigen Architekten gemacht.
Mich stört die Willkür, daß alle Entscheidungen nur getragen werden von der Wirtschaft, daß Investitionsanreize die Stadtplanung machen...
Damit kann man aber so oder so planen...
Nee, eben nicht, das ist eine Unterschätzung der Interessen der Wirtschaft. Horten möchte garantiert in Bremen verkaufen...
Ja natürlich, die Leute wollen ja auch hier einkaufen.
Dann kann eine Stadtplanung aber sagen, wir erwarten Demut und Rücksicht auf die Bedingungen, die hier sind, und bitte nicht diese blöde Hortenfassade, die überall in der Welt steht. Oder die Sache mit Galeria. Da wird geträumt von Mailand, wo Vittorio de Sica mit'm Kamelhaarmantel seinen Kaffee schlürft. Da machen die hier 'ne poplige, Sache draus, und draußen in Kattenesch plant man auch 'ne Galeria.
Aber funktioniert, es ist eine Belebung. Die Leute stehen nicht mehr in der Steppe, wenn sie die Obernstraße runter sind, sondern haben einen Rundweg und trinken tatsächlich ihre Kaffees da.
Politische Leitbildplanung würde heißen, daß man dort besonders Wohnungsbau fördert, weil man weiß, die Stadt kippt um. Statt zwei Etagen Parkplätzen auf Horten könnten da Menschen leben, in Ateliers oder sonstwie, die da einkaufen und abends in Kneipen gehen. Arbeiten, Wohnen, Erholen zu trennen, das ist der Städtebau der 60er Jahre, der ist tot. Städtebau heute muß sagen: Wir können die Innenstadt verdichten, es gibt bestimmt Platz für 10.000 Wohnungen. Statt dessen werden in Bremen locker Grünflächen schraffiert für 16.000 Wohungen, eine Fläche, dreimal so groß wie der Bürgerpark. Und die Gewoba schreibt einen Wettbewerb für ein Bremer Typenhaus aus! Das ist dummes Zeug. Die Aufgabe wäre aber, z.B. für 600 Wohnungen im Hollerland einen Wettbewerb auszuschreiben, daß Wäldchen und Bächlein sich einpassen, daß man den genius loci nutzt, um Natur mit Bauen zu versöhnen. Nachdem Janssen seit Jahren darum kämpft, sein Feuchtbiotop zu erhalten: Eine spezifische Architektur, die so spannend sein muß, daß weltweit Menschen herkommen, sich das anzusehen. Aber die Ausschreibung des Typenhauses für 16.000 Wohnungen, das ist gut für Syrien, Kalkutta, Bremen und sonstwo. Interview: Uta Stolle
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