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Der westöstliche Iwan

■ Die jeweils bessere Hälfte

Im Jahr der denkbar rasantesten Entwicklungen schicken sich zwei Verlage aus West und Ost an, Deutschland hüben und drüben zu beobachten. 32 ReporterInnen machen sich auf, die Noch-DDR und die BRD zu erkunden, herauskommen soll der „andere Blick auf das jeweils unvertraute Deutschland. Das Jahr '90 hat sich als die Zeit der Beschleunigung und der Vereinfachung herausgestellt, deswegen ist das Anliegen der Herausgeberinnen Irmela Hannover (West) und Ilona Rothin (Ost) reizvoll, diesen Umbruch mit Zwischentönen fixieren zu wollen — und das auch noch paritätisch.

„Feine Leute“, „Reisen“, „Medien“, „Innere Sicherheit“ — insgesamt 18 Themenpaare werden westöstlich bearbeitet. Amüsant, wenn auch nicht überraschend, die Beschreibung eines Tagesausfluges von Westmenschen ins Plündergebiet DDR („da ist Gefühl für den Vetter aus... na, Dingsda, aber es ist nicht immer ein Taktgefühl“), im Vergleich dazu die Busreise von DDRlern zum Hamburger Fischmarkt, bei der die „Aufzählung aller möglichen Superlative kein trainiertes Publikum erreicht“. Ironisch.- skeptisch erzählt der Ostreporter von seinen Erlebnissen in einer West- berliner Werbeagentur: „Ihre Stimmen haben genau jenen bescheuerten Produktionsfanatismus, der die westdeutsche Werbung in der DDR berühmt gemacht hat und den wir zu imitieren versuchten, wenn uns nach Nonsens zumute war“. Und skeptisch-ironisch faßt der Westreporter die ersten Werbeversuche für den Trabi zusamnmen: „so menschlich, diese Dilettanten“.

Immer dann, wenn die Erzählenden Analysevermögen haben, nicht bei bloßen Impressionen stehenbleiben, sind die Themenpaare überzeugend. Das Problem Abtreibung zählt ebenso zu den soliden Beispielen wie der Vergleich Kindergarten und Kinderladen. Zu oft werden freilich Ideen zueinander in eine Beziehung geklebt, die einfach nicht da ist, wie etwa die anekdotenreiche Rückschau des bekannten ARD-Korrespondenten auf Behinderungen durch die Stasi und der Versuch einer Ost-Reporterin, „mal so“ beim Verfassungsschutz in Köln zu recherchieren. Asymmetrisch auch die Einfälle zum Thema Homosexualität: während der Ossie erstmalig in die Leder-Szene abtaucht, bereitet der Wessie spröde die Geschichte der Schwulenbewegung in der DDR auf. Beides nicht uninteressant — und aneinander vorbei.

Anthologien, die unter einem solchen Zeitdruck entstehen, müssen wohl Dahingeschriebens mit durchschleppen. Aber was haben Günter Wallraffs Sammelsurium zum östlichen Jagdwesen, Ruprecht Esers Rührstory über seine alte Heimat Leipzig, Dietmar Biermanns Lobhudelei auf die Westmedien in einem Buch zu suchen, das — bitteschön — Klischees abwehren wollte? Vielleicht hatten die Herausgeberinnen Sorge, ihnen könnte das Werk zu leise geraten. Da mußten halt ein paar Prominente mittuten.

Ach ja, die Selbstdarstellung. Es zeichnen sich tatsächlich die meisten Wessis durch Gewißheiten aus. Selbstzweifel ist ihre Sache nicht. Die Ossis dagegen pflegen das Herantasten ans Objekt („als DDR-Journalist hinlänglich gewöhnt, ein Drittel meiner Kraft für die ironische Distanz zu allen Dingen aufzubringen“). Vielleicht ist es ja ganz angenehm, nicht auftrumpfen zu müssen. Sonia Mikech

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