piwik no script img

Betr: die Gleichung Hitler — Hussein

Eine Entgegnung  ■ Von Werner Raith

Die Selbstverständlichkeit, mit der zur Zeit Etiketten als Waffe speziell zum Verächtlichmachen und Verurteilen im Einsatz sind — von „Pazifismus“ bis „Antizionismus“, von „Kriegsangst“ bis „Defaitismus“ —, bestätigt wieder einmal Mephisto im Faust: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten / Mit Worten ein System bereiten / An Worte läßt sich trefflich glauben / Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.“

Zwei Worte sind da derzeit ganz groß im Schwange: „Hitler“ und „Antiamerikanismus“. Dem ersten verhilft eine weltweite Erinnerungskampagne zur Renaissance, mit H.M. Enzensberger im 'Spiegel‘ als Chefinterpreten; in die Kerbe des zweiten hauen u.a. Willy Brandt und Klaus Hartung, der bologneser Kardinal Biffi und aus Israel Henryk M. Broder. Den Vergleich Saddams mit Hitler hat Enzensberger nicht erfunden; er geistert herum, seit sich der Iraker gegen den sogenannten Westen stellt; erstaunlicherweise erst seitdem: Als er Kurden mit Gas traktierte, fand ihn noch keiner hitlerisch. Neu an Enzensbergers Reprise („scharfsichtig und unbequem“, lobt der 'Spiegel‘ seinen Autor, „blendend vorgetragen“, legt Augstein höchstselbst nach) ist, daß zur Gleichung H=S die Analogität der Untertanen hinzukommt: „Die Deutschen waren die Irakis von 1938 bis 1945.“ Beide nämlich „Massen, die sich als Schächter und Schlachtopfer zur Verfügung stellen.“ Warum? „Was die Deutschen begeisterte, war nicht allein die Lizenz zum Töten, sondern mehr noch die Aussicht, selbst getötet zu werden.“ Daher auch die Kontinuität des Bösen, etwa die Aversion gegen Israel oder gegen die Amerikaner, worin sich „Restbestände des Faschismus“ zeigen. „Wenn ein erheblicher Teil der deutschen Jugend sich eher mit den Palästinensern identifiziert als mit den Israelis, wenn sie ihren Protest lieber gegen George Bush richtet als gegen Saddam Hussein, so ist das mit Ahnungslosigkeit kaum zu erklären.“

Todessehnsucht also: Es wird, griffig, grausig und gedankenlos wohl das nächste Superetikett sein. Jedenfalls ist es das Bindeglied, das Enzensberger wischen Saddam Hussein und Hitler und vor allem zwischen den Deutschen und den Irakern dekretiert.

Über den Gemütszustand der Iraker weiß ich nichts: Die Propaganda hüben wie drüben verstellt die Sicht, ich vermute, auch Enzensberger sieht nicht mehr. Doch an Deutsche im Krieg habe ich präzise Erinnerungen, und so wüßte ich gerne, wo und wann er denn die Deutschen so todessehnsüchtig erlebt hat. Bei der Parade am 27. September 1938, weniger als ein Jahr vor Kriegsbeginn, starrten die Berliner die Waffen derart finster an, daß Hitler seine Schranzen anfuhr: „Mit diesem Volk kann ich keinen Krieg führen.“ Daß nach Kriegsbeginn die Hoffnung auf Sieg ging und nicht auf Niederlage, können wir unterstellen; auch das Ja- Geschrei im Olympiastadion nach Goebbels Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg“, 1943, drückte nicht Untergangswillen, sondern die letzte Hoffnung aus, trotz täglich niederprasselnder Bomben doch noch dem Untergang zu entkommen. Daß ein Volk, auch wenn es einen Krieg überhaupt nicht wollte, sich im Ernstfall um seine Führer schart, ist keine deutsche oder irakische Spezifität: Amerika, vor dem 15. Januar zu mehr als 40 Prozent contra, hält seit dem Angriff nahezu einstimmig zu George Bush. Im Kongreß fehlten nur vier Stimmen zur Blockade des Krieges; heute akklamiert er Bush nahezu einstimmig. In dem Dorf, in dem ich als Kind den Weltkrieg verbrachte, kann ich mich an keinen einzigen Todessehnsüchtigen erinnern; und schon gar nicht unter denen, die wir im Keller und unter Strohballen Jahre jahrelang versteckt hielten. Wenn die Leute im Dorf ihrem „Führer“ noch immer folgten, obwohl sie alles längst verloren sahen, so deshalb, weil die Propaganda ihnen die Besatzer — speziell „die Neger“ — als derart vergewaltigungs- und mordlüstige Gesellen eingeredet hatte, daß die kaputte deutsche Flak nebenan noch als Schutz galt, als uns „die Neger“ bereits Apfelsinen und Schokolade zusteckten. Mein Vater, zum Tode verurteilt und im Versteck der Befreiung harrend, tröstete meine verzagte Mutter noch immer: „Wir werden den Krieg schon noch gewinnen.“

Wie weit Hitler oder ab wann er Todessehnsucht verspürte, ist Spekulation; Enzensberger zitiert keinen einzigen Beleg (der Satz: „Das deutsche Volk ist es nicht wert, zu überleben“, stammt aus den Tagen unmittelbar vor seinem Selbstmord). Daß Saddam seinen Tod mittlerweile ins Auge faßt, ist wahrscheinlich, daß er dabei möglichst viele mitnehmen will, ebenfalls — ein verbreitetes Verhalten in aussichtsloser Lage. Das entschuldigt nichts; doch die Frage war ja, ob er das von vornherein wollte oder voraussah. Pierre Salingers im 'Spiegel‘ vorige Woche veröffentlichte Vorgeschichte des Golfkrieges läßt eine viel weniger perverse Deutung zu: Saddam wurde allseits geradezu ermutigt. Daß er den Ölpreis als Überlebensfrage betrachtete, ist sicher, daß ihm niemand die schließliche Reaktion der USA vorausgesagt hat, ebenfalls.

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

Für ihn sah alles nach einem Persilschein für jegliche Schweinerei aus.

Andersherum wird wohl eher eine historisch haltbare Paarung draus: nicht Saddam mit Hitler, sondern die in München 1938 herumfuhrwerkenden Helden Chamberlain, Daladier und Mussolini mit Bush, Mitterand, Kohl und Co., damals wie 1990 nach dem Motto, „das kriegen wir schon hin“, sind zugange.

Das führt zu jenem anderen Etikett, das jedem ans Hemd geheftet wird, der den Westen für diesen Krieg mitverantwortlich macht, und ebenso allen, die Waffenstillstand oder — mittlerweile ein verfemtes Wort — gar Frieden fordern: der Antiamerikanismus. Auch Enzensberger hantiert damit, beim Vorwurf gegen die deutsche Jugend. Als Antiamerikaner gilt, wer es an Dank für den Schutz vor Moskau mangeln läßt, und ebenso, wer Israel kritisiert. Und ganz besonders, wer sich weigert, die Aufrüstung Husseins — speziell die mit Gas — durch auch deutsche Firmen als seine persönliche Schuld anzusehen.

All das wollen wir — das sind jene, die unter eine oder mehrere der eben aufgelisteten Pfiuteufeleien fallen — uns mal kräftig verbitten. Natürlich gibt es unter den „Peace- now“-Leuten auch welche, die grundsätzlich etwas gegen die Amerikaner haben; doch auch Enzensberger haut auf die Deutschen los, wenn er ihnen unterschiedslos „Begeisterung für die Lizenz zum Töten“ vorwirft. Die meisten von uns, die diesen Krieg kritisieren, haben nichts gegen die Amerikaner. Es geht um ganz anderes: Wir stellen uns zunächst einmal schlicht und einfach auf die Seite derer, die wir als die Schwächeren ansehen, speziell wenn diese Schwächeren vom Tod bedroht sind.

Dieses Eintreten für Schwächere steht zunächst vor jeder Frage nach Schuld oder Recht. Der uns vorgehaltene Antiamerikanismus liegt auf derselben Linie wie der Protest gegen die UdSSR nach dem Einmarsch in Afghanistan oder gegen die Besetzung Namibias durch Südafrika. Daß Saddam Hussein mit Waffen aufgerüstet wird, die auch Israel bedrohen, haben wir — ebenso wie die Massenmorde an Kurden — denunziert, lange bevor die heute 150prozentigen „Amerikaner“ dies als Gefahr oder Verbrechen zugegeben haben. Und wenn wir vermuten, Saddam Hussein hätte sich trotz seiner Kanonen und Raketen ohne diesen Krieg nicht eine einzige „Scud“ auf Israel leisten können, weil Tel Aviv atomgerüstet ist, und daß er es seit dem 15. Januar kann, weil die Alliierten Israel nicht reagieren lassen, dann erwarten wir wenigstens, daß man diese These nicht platt als mangelnde Fürsorge für Israel oder als Antiamerikanismus abtut.

Auch das gern benutzte Argument, wir hätten beim Einmarsch Husseins in Kuwait unseren Pazifismus vergessen, zieht nicht. Abgesehen davon, daß dies nicht stimmt (ich selbst habe bereits am 6.August an einer Demo vor der irakischen Botschaft teilgenommen) hat uns, trotz böser Ahnungen, Saddams Schnelligkeit überrascht — mehr aber noch die lahme Reaktion der Großmächte; viele glaubten angesichts der Golfplatzinterviews Bushs zunächst an ein stilles Einverständnis der USA. Erst langsam erkannten wir die Realität — und sahen, wieder früher als unsere Kritiker, daß alles auf Krieg hinsteuert.

Für uns gerieten damit zwei Fundamentalwerte in Gegensatz: Menschenrecht gegen Völkerrecht; die Unversehrtheit, das Leben unzähliger Menschen im gesamten Vorderen Orient gegen das — zweifellos verletzte — Völkerrecht. Wir optieren für das Menschenrecht, und mußten damit, zunächst wenigstens, eine Zurückstellung des Völkerrechts in Kauf nehmen. Eine schwere Entscheidung. Doch wie diejenigen, die bei einer Geiselnahme für ein Eingehen auf den Entführer plädieren, dieselbe moralische Integrität beanspruchen dürfen wie jene, die aus rechtsstaatlichen Gründen auch um den Preis einer Geiseltötung eingreifen wollen, reklamieren wir für uns mindestens dasselbe ethische Niveau wie die Interventionisten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen