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Wettern über Wirtshausgänger

■ »Feindbilder« — Eine Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Verleihung des Friedensfilmpreis in der Urania

Merkwürdig anachronistisch wirkt die diesjährige Verleihung eines »Friedensfilmpreises«, der sich auf die Zielsetzungen des UNO- Friedensjahres beruft. Was bis dato kaum mehr als ein Achtungserfolg für den prämierten Film bedeutete, könnte in diesem Jahr eine ganz andere Bedeutung gewinnen. Während die mehrheitlich mit Frauen besetzte Jury täglich Berlinalebeiträge sichtet, geht eine Herrenrunde eigenen und fremden »Feindbildern« nach. Von Dorothee Hackenberg.

Konfrontiert mit dem Problem, vor dem Hintergrund des Krieges ein Filmfestival zu veranstalten, zog sich Berlinale-Chef Moritz de Hadeln geschickt aus der Affäre: Die Berlinale hätte sich immer als Mittel zur Völkerverständigung verstanden. Einen Trailer den Festivalfilmen vorzuschalten, der die klare Forderung nach sofortigem Waffenstillstand zum Inhalt hätte, lehnte die Festspielleitung jedoch ab. Die Initiatoren dieses Trailers, Gewerkschafter der IG-Medien, befestigten darauf an ihrem Stand im Berlinale-Zentrum Kongreßhalle ein gleichlautendes Transparent, das in der Nacht von Samstag auf Sonntag plötzlich verschwand, wie sich Hubert Kolland, IG-Medien-Mensch und Koordinator des Friedensfilmpreises am Sonntag anläßlich einer Diskussion zur Verleihung ebendieses Preises entrüstete.

Indes, die Veranstalter der Gesprächsrunde, die über »Feindbilder« debattieren wollte, die IG-Medien und Teile der Friedensfilmpreis- Jury, standen der Festspielleitung an Halbherzigkeit in nichts nach. Denn die Verleihung des Friedensfilmpreises stand bislang nicht zur Disposition. Jener Preis wurde 1986, im UNO-Jahr des Friedens, von einer Kampagne »Unsere Stadt gegen Atomwaffen« initiiert und soll einen im Berlinale-Programm gezeigten Film auszeichnen, der »am stärksten den Zielsetzungen des UNO-Friedensjahres entspricht«. Der diesjährige sechste Friedensfilmpreis steht unter der Schirmherrschaft der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs e.V. (IPPNW), die den sofortigen Waffenstillstand fordern — doch kann man einen Film noch an Maßstäben einer Organisation messen, die selbst zur mittelbaren Kriegspartei geworden ist?

Statt dieser Frage nachzugehen, hatte man offenbar die traditionelle Friedenspalaverrunde auf die Schnelle aktualisiert: Hier ein Diplomat mit Landeskenntnis, da ein Schülerdemonstrant, dort ein israelischer Filmemacher. Nicht, daß sie nichts zu sagen hätten, im Gegenteil. Im prall gefüllten kleinen Keplersaal der Urania wurde, von allgemeinsten philosophischen Exkursen zum Thema Feindbild bis zu Expertenmeinungen zur Lage in Kuwait das ganze große Thema Golfkrieg, aber auch noch vieles andere hin und her bewegt.

Michael Venedey, Jurysprecher und Angehöriger des Bundes Demokratischer Wissenschaftler, wurde als Feindbildforscher und Flugblattsammler um Rat gefragt. Aber er fühlte sich in seiner Eigenschaft als Mann selbst von Feindseligkeit getroffen — als einer von immerhin acht Geschlechtsgenossen inclusive Moderator, die Mann zur Aussprache geladen hatte und ihm so Kritik eintrugen. Nach dieser anfänglichen, selbst beklagten Ladehemmung kam Venedey aber doch noch zu seinen Lieblingsthesen: Das Scheitern des Sozialismus wäre auch darauf zurückzuführen, daß sich die sozialistische Linke so wenig mit psychologischer Kriegsführung beschäftigt hätte. So sei der Sozialismus heute so restlos diskreditiert, daß sich jede Möglichkeit rationaler Auseinandersetzung, die nicht nur die inneren Bedingungen, sondern auch die äußeren Pressionen, denen beispielsweise die DDR ausgesetzt war, berücksichtige, verbiete.

Der Biologe und Neues-Forum- Politiker Jens Reich, der für den erkrankten Horst-Eberhard Richter gekommen war, fing ebenfalls bei »Feindbildern« an, deren Ursprung er im Reflexsystem der Primaten ausmachte und endete beim Krieg, den er ein rational untaugliches Mittel nannte, zumal damit eine Neuordnung der Welt mit »Elementen des Polizistentums« versucht werde. Der israelische Filmemacher Emanuel Rund, dessen Dokumentarfilm »Alle Juden raus« im Rahmen des Forums gezeigt wird, gab der obligatorischen Medienschelte aller gegenwärtigen Friedensdiskussionen zusätzliche Akzente: Nicht nur würden die Israelis unzureichend über die deutsche Friedensbewegung informiert, auch die Deutschen sähen die israelische Öffentlichkeit eben nur durch den Fokus des ARD-Korrespondenten Friedrich Schreibers. Wen interessierte heute, daß 300.000 Israelis, also jeder Zehnte, 1986 gegen die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten demonstriert haben, fragte Rund.

Das Problem sei hier wie dort der Blick von oben, der die Welt als Schachbrett sieht. Auch die Desinformation unter deutschen Jugendlichen, was die Frage der Judenvernichtung betrifft, sieht Emanuel Rund in dieser »Weltanschauung« begründet: In der Schule würde mit Leichenbergen und Zahlen hantiert; was aber in der eigenen Stadt, dem eigenen Dorf, der Straße passiert ist, bliebe außen vor, weshalb Rund genau darüber Filme dreht.

Und der türkische Regisseur Fehmi Yasar, mit »Camdan Kalp« (Herz aus Glas) im Panorama-Programm vertreten, sprach von einer großen Leere in sich, und daß ihm sein eigenes Leben und Land aus der Hand gleite, denn andere entschieden über Krieg und Frieden, Feinde und Freunde: »Ich komme als Freund, aber betrachten Sie mich für einen Moment als Feind unter der Herrschaft der Medien. Darüber möchte ich einen Moment schweigen.«

Doch war man ohnehin unter »schmuseweichen« (Martin Buchholz) Friedensfreunden, »wenigen alten Frauen, die in die Kirche gehen, während der Pastor über die, die ins Wirtshaus gehen wettert« (Reich). Selbst der Botschafter der ehemaligen DDR in Kuwait a.D., Kurt Merkel, stimmte gegen den Krieg und gegen die Politik einer eigentlich durch die Ost-West-Entspannung gestärkten UNO, die den Krieg als Mittel nicht ausschließen wollte, so daß das alte Ost-West-Feindbild für neue Feindbilder handhabbar geworden sei.

Die neuen Feindbildfraktionen, amerikanische und irakische Vertreter aus dem Film- oder Medienbereich, waren gar nicht eingeladen worden. Im Publikum saßen die Frauen, z.B. auch das Jurymitglied Harriet Eder, deren Film »Mein Krieg« im letzten Jahr prämiert worden war. Eine Frau war es auch, die zwischen dem Ruf nach »Freundbildern«, der Suche nach den »Verrückten von Siemens, den Irren von MBB oder den Kriminellen von BASF« und zwischen der vorauseilenden Selbstkritik der Friedensbewegten die »gebetsmühlenartige Forderung nach Waffenstillstand« in Frage stellte. Denn mit dem Engagement liefe fraglos und zusätzlich durch die Kriegsproduktion geölt weiter, was offenbar niemand freiwillig reduzieren wolle: der eigene Wohlstand.

Vorführung des prämierten Films mit anschließender Diskussion mit Jury und Preisträgern am Dienstag, 26. Februar, 21 Uhr in der Filmbühne am Steinplatz. Eintritt frei.

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