Falsche Kacheln für Marxens Magistrale

■ Der DDR-Prachtboulevard Karl-Marx-Allee soll noch in diesem Jahr saniert werden/ Mehr »Freizeitwert« mit Plastekacheln?

Friedrichshain. Die Sanierung der Karl-Marx-Allee soll noch in diesem Jahr beginnen. Wie gestern berichtet wurde, werde dabei als erstes die Rekonstruktion des Häuserblockes 132/140 unmittelbar am Frankfurter Tor in Angriff genommen. Bei den Bauarbeiten an diesem Gebäudekomplex, die im zweiten Halbjahr 1991 beginnen sollen, wolle man testen, wie hoch die Kosten für eine komplette Sanierung vom Dach bis zum Keller sind. Noch nicht entschieden sei, ob die Fassaden wieder per Hand neu mit Kacheln verkleidet, ob teilweise Kunststoffmaterialien eingesetzt oder Vorhangsfassaden verwendet werden. Für das Pilotprojekt seien 1,9 Millionen Mark eingeplant.

Nach Einschätzungen der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain sei die Bausubstanz der Straße »nach vierzig Jahren ziemlich runtergekommen«. Am sichtbarsten werde dies an den Fassaden, von denen bereits über 50 Prozent zum Teil schwer beschädigt sind. Zudem müsse die gesamte Infrastruktur der Häuser — Wasser- und Elektroleitungen, Wärmedämmung — schnellstens erneuert werden. Nach Ansicht der Gesellschaft werde die Sanierung des einstigen »Musterbeispiels neuen sozialistischen Städtebaus« etwa ein Jahrzehnt dauern.

Neben der Rekonstruktion der Häuser soll durch Boulevardcafés und Ausstellungszentren der »Freizeitwert« der Magistrale erhöht werden. Fest stehe bereits, daß die beiden freien Plätze an der Ecke zur Straße der Pariser Kommune bebaut werden. Nach den Vorstellungen von Stadtbezirksbaurat Gerd Hannemann wird dort ein Dienstleistungs- Gebäudekomplex mit Verkaufs- und Büroflächen entstehen, eventuell auch ein kleines Hotel. Der halbfertige Gaststättenanbau an der Hinterfront des Hauses Berlin soll dagegen abgerissen werden, da er gegen den Denkmalschutz verstößt.

Der Bau der Karl-Marx-Allee, einer gemäßigten, deutschen Variante der sozialistischen Prachtarchitektur aus der stalinistischen Phase war 1952 begonnen worden. Die Baustelle war Ausgangspunkt der blutig niedergeschlagenen Arbeiterproteste vom Juni 1953. Mit der Vereinigung wurde die klassische Zuckerbäcker-Allee zwischen Strausberger Platz und Proskauer/Niederbarnimstraße seit dem 3. Oktober 1990 unter Denkmalschutz gestellt. Damit, so Hannemann, sei gesetzlich gesichert, »daß diese Allee original erhalten bleiben und in gutem baulichen Zustand gehalten werden muß«. Die Finanzen für dieses Vorhaben seien jedoch noch nicht geklärt, man hoffe aber auf eine Sonderförderung des Bundes sowie des Landes Berlin. adn