: Katzer ohne Kratzer
■ Das CD-Label »Academy« der Akademie der Künste
Die zeitgenössische avantgardistische Musik erfreut sich einer so geringen Beliebtheit beim Publikum, daß selbst in renommierten Musikgeschäften kaum eine Aufnahme zu bekommen ist. Und das trotz großer Retrospektiven — wie jüngst der Hommage auf Luigi Nono im Rahmen der »Inventionen«. Eine Situation, die LiebhaberInnen moderner Musik in längst für anachronistisch erachtete Schwierigkeiten bringt. Die Aufführung zeitgenössischer Kompositionen bleibt trotz der enormen Verbesserung der Aufnahmetechniken häufig ein einmaliges Hörereignis.
So sind etwa Werke von Boris Blacher, Bernd Alois Zimmermann oder Rudolf Wagner-Régeny zwar in der Akademie der Künste aufgeführt worden, aber als Tondokumente kaum mehr zugänglich. Mit der Gründung eines eigenen Labels ist die Akademie der Künste nun in der Lage, diesem Mangel wenigstens für die Zukunft abzuhelfen, da in den vergangenen Jahren aus finanziellen Gründen keine Aufnahmen mitgeschnitten werden konnten. Diese Möglichkeit ergibt sich trotz aller staatlichen Mittelkürzungen durch das Engagement der Hamburger Plattenfirma »edel company«, die zu 90 Prozent die Finanzierung des Labels übernommen hat. Dabei soll die künstlerische Auswahl der Akademie überlassen bleiben.
Frank Michael Beyer, der Leiter der Abteilung Musik der Akademie (West), versteht das Label als einen Spiegel der Arbeiten der Berliner Musikszene. Repräsentiert sieht er diese zunächst in den Mitgliedern seiner Kunst-Sektion. Zu den ersten Pressungen gehörte neben Beyers eigenen kammermusikalischen Kompositionen auch eine Aufnahme des Klavierkonzerts Universe des Akademie-Mitglieds Gerald Humels, die in einer RIAS-Aufnahme des Pianisten Jeffrey Burns zur Verfügung steht.
Das Stück zählt zu den wichtigeren Arbeiten der achtziger Jahre, versucht Humels Klavierkomposition doch im Stil des »Gesamtkunstwerks« an den harmonischen Zusammenhängen eines musikalischen Weltbildes festzuhalten, ohne damit einer mystischen Nivellierung der Dissonanzen des Tons und des gesellschaftlichen Kontextes von Musik zuzustimmen. Dieses von Komponist und Interpret gemeinsam vertretene, ambitionierte Konzept ist mit der Einspielung adäquat dokumentiert.
Einen anderen Akzent setzt die in Kooperation mit der Akademie (Ost) initiierte Retrospektive der Kammermusik der DDR. In der Zusammenstellung von überwiegend mit Soloinstrumenten und Tonband instrumentierten Kompositionen von Siegfried Matthus, Helmuth Zapf, Georg Katzer, Lothar Voigtländer, Friedrich Goldmann und Reiner Bredemeyer wird ein repräsentativer Überblick der nicht auf das Schlagwort vom sozialistischen Realismus einzuengenden Ostkunst gegeben. Generell bemüht sie sich um eine Aufarbeitung der modernsten technischen Möglichkeiten elektronischer Musikproduktion, nicht ohne sie zugleich mit impressionistischen oder romantischen Reminiszenzen zu konterkarieren. Die wiedergegebenen Konzerte berücksichtigen in der Wahl ihrer Interpreten die jahrelange Zusammenarbeit der Komponisten mit einzelnen Solisten, etwa der Harfenistin Katharina Hanstedt.
Eingegangen sind in das Konzept des Labels aber auch bedeutende Gastspiele in der Akademie. Die vierte CD der Academy-Edition mit Aufnahmen des Vilnius-Streichquartetts gibt einen Überblick der weitgehend von Julius Juzeliunas geprägten jungen litauischen Musikgeneration. Die auch in der Musik auffällige Tendenz einer Zusammenführung traditioneller und modernster Kompositionstechniken findet sich hier nicht nur experimentell angedeutet, sondern ist auch in den großen Musikgattungen konsequent umgesetzt.
Auch für die nächsten Jahre war eine enge Kooperation mit dem litauischen Quartett geplant. Das Projekt eines Meisterkurses konnte, wie viele andere Vorhaben, aufgrund der Streichung der Mittel, die die Akademie im Aufführungsprogramm zu fast 70prozentigen Kürzungen zwingt, bislang nicht verwirklicht werden. Im Verlauf der nächsten Jahre werden unabhängig davon Pressungen von Werken Wolfgang Rihms und Helmut Lachenmanns zu erwarten sein, wie auch weitere Einspielungen moderner Komponisten (u.a. Ligeti und Tal) durch Jeffrey Burns. Thomas Schröder
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