: Hübsche Tiere und Hermeline
■ »Überwindung der Grausamkeit — Gespräche mit Breton« — Elfie Fröhlich in der Berlinischen Galerie
Eine Frau hat Gespräche mit dem Surrealismus geführt, genauer gesagt, mit seinem wichtigsten Kopf, André Breton. In dessen Seele und Leben ist sie gedanklich so sehr hineingeklettert, daß ihre eigenen Imaginationen da ankamen, wo er unbekannterweise irgendwann auch gewesen war.
Die Frau ist die Fotografin Elfie Fröhlich, die im Gropius-Bau monumentale und gleichzeitig sehr fragile Erinnerungen ihres eigenen Unbewußten zeigt: Gespräche mit Breton — Überwindung der Grausamkeit heißt ihre fotografische Installation. Elfie Fröhlich berührt archaische Formen und Motive so treffsicher, daß sie ihr selbst wieder als fremde, neue Symbole entgegentreten können. Die Sprache der Bilder liegt einen Schritt neben der alltäglichen Wirklichkeit, und so kann man einen Zyklus des organischen Werdens und Vergehens finden, der zeitlos Bestand hätte, gäbe es jene Grausamkeit nicht. Heutzutage die ersten Seiten der Zeitungen zu lesen, verdirbt das Gemüt und auch den Aufnahmesinn für Elfie Fröhlichs Fotografien.
Siebzehn überdimensionierte Farbplakate umranken die Glaskuppel und ziehen ein schwerfarbiges Spinnenentz durch den Raum. Die Bilder sind Fundstücke, die die Fotografin aufgelesen hat, ehe sie selbst verstanden hat, warum. Mit Ecriture automatique ließe sich auch heute die Bildsprache beschreiben, die sich an den Bretonschen Sätzen forthangelt — der Faden der Intuition bleibt der einzige Wegweiser —, wie von allein die Magie umkreist und ins Märchenland zurückfindet.
Ins Hier und Jetzt der Gegenwart scheinen die Augen jener Madonna von Cranach, die Elfie Fröhlich als Detail fotografisch herausgehoben hat, zu verweisen. Zugleich zeugt ihr Blick von einer ruhigen, wissenden Tiefe, unterstützt von der die Zweifarbigkeit des Gemäldes, ocker- schwarz, und dem vielfach vergrößerten Craclée der Gemäldeoberfläche. Die Madonna, die aus äußerster Nähe mikroskopisch betrachtet werden kann, bleibt in der Klugheit ihres Blickes rätselhaft-fern und um so größer und mächtiger, als sie in Elfie Fröhlichs Installation auf die ganze, seitlich neben ihr angeordnete Erdkugel, wie auf ein später Entstandes blickt. Und das stimmt technisch allemal. Jene Erdkugel ist aus dem Fernsehen heraus fotografiert und zeigt aus der schamlosen Blicknähe ihre digitalen grünlich-blauen Farbelemente. Die spezifische Kosmetik der Madonna hingegen besteht in den Zeitspuren der Gemäldeoberfläche von rund 500 Jahren.
Nicht immer ist der Gegenstand der Fotografien klar erkennbar. Das Auge bleibt wiederkehrendes Motiv, erscheint noch zweimal als »Ding an sich«. Einmal in der eliptischen Form, ausgeschnitten auf schwarzem Hintergrund, mit braun schillernden Perlmuttstreifen gefüllt. Eine winzige rotgesprenkelte Stelle irritiert den Eindruck, dies könnte Teil einer Muschel sein, vielleicht ist es Teil einer Iris, vielleicht beides mit der Erinnerung an Menschlich- Verletzliches. So zeigen die Bilder bei aller offensichtlichen Ästhetik der Oberfläche rätselhafte Motive, wie eine weitere Hommage ans Auge pur: Hier leuchten nur zwei fluoreszierende blaue Punkte im radikalen Dunkel.
Das Rätsel zerstört Elfie Fröhlich mit der Verbildlichung eines Gefühl beschreibenden Satzes von Breton: »Über den ein Vorhang aus Tau sich hob mit Fransen vom grün gewordenen Blut« — das Brandenburger Tor ist zu sehen, noch mit Mauer, es ist angestrahlt bei Nacht, der Vorraum, die olle Straße, schimmert grün. Das Bild darunter füllt ein rot fallender Samtvorhang aus, mir scheint noch ein Monstergesicht aus den Falten zu sprechen. Die Fotografin hat sich so sehr eingesehen in die Form, daß für sie nur mehr Gebäude als steinernes Gerippe stehenbleibt, in monströser Ruhe. Wenn das Theater schlecht ist, fällt der Vorhang — aber auch diese Szene bleibt, wie alle anderen, den Alltagsbezügen enthoben. Eine direkte politische Interpretation würde die ästhetische Ausstrahlung schlucken.
Formales verbindet in einem anderen Bild-Duett den nackten Unterleib einer weiteren Cranach-Madonna mit einem Pferdefuß. Eine eliptische Form hinter dem Madonnentorso korrespondiert mit der Form jenes dunkelschimmernden Hufs, in dem ein heller, weiblicher Fuß steckt. Vielleicht hat es Elfie Fröhlich auch ein bißchen mit dem Teufel, der dieses altertümliche Hornmerkmal besitzt aus Zeiten, wo die tieferen Mächte noch offen Spuren hinterließen.
Lila-rot-braun verfleckt ist die Haut eines anderen Wesens, das faltig und schrumpelig eigentlich ein Mahnmal für organische Häßlichkeit sein könnte und sich aber durch eine unbestechliche violette Rätselhaftigkeit ins Gedächtnis einprägt. »Während wir schlafen, ist die Königin der Launen mit dem Halsband aus erloschenen Sternen beschäftigt, die Farbe der Zeit zu wählen. So gewinnen die seltenen Zwischenumstände des Lebens eine unvergleichliche Wichtigkeit«, schrieb Breton und Elfie Fröhlich fand die Versinnbildlichung in einem Biologiefilm, sie holte sich dort die Aufnahme eines Krötenungetiers heraus: ein uraltes androgynes Antlitz mit väterlich- strengen Adleraugen und mütterlich- breit wissenden Lippen. Und der Ort, die Heimat der mythologischen Konstanten? »Du wirst mich weiter fortreißen, als ich gelangen konnte, und deine Arme werden Höhlen sein, in denen es von hübschen Tieren und Hermelinen heult«, so Breton, und Elfie Fröhlich zeigt ein Höhlenquartier mit Felsen, anheimelnd mädchenhaft. Auf einem weiteren Tableau ragt ein schwarz-zinniger Turm in die tiefblaue Nacht, »wo geheimnisvolle Zeichen wohnen«, und die finden sich wiederum in einem Gemälde darunter präzisiert, und so hat Elfie Fröhlich fortwährend das Unfaßbare, Unbeschreibbare fotografiert. Eine letzte Madonna, golden glühend wie die Sonne, begleitet das ewige Werden auf dem Partnerbild, visuell undefinierbar abgebildet wird das gleiche Thema doch konkret, durch einen aus dem Ei schlüpfenden Pinguin. Elfie Fröhlich hat die Rätsel, die sie sich selbst aufgegeben hat, beantwortet. Sophia Ferdinand
Überwindung der Grausamkeit — Gespräche mit Breton in der Berlinischen Galerie, Di.-So. 10-20 Uhr, bis 1. April.
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