Ein Opfer ist kein richtiger Mensch

■ „God Afton, Herr Wallenberg“ im Wettbewerb der Berlinale

Ein Lastwagen steht quer zur Fahrbahn, deutsche Posten bewachen die Ladung: jüdischer Bürger aus Budapest, die auf der Ladefläche auf ihren Abtransport ins Ghetto warten. Doch der LKW kann nicht abfahren, gepanschtes Benzin hat den Motor ruiniert. Die Wachen denken jedoch nicht daran, die frierenden Juden zu Fuß abzuführen oder sie wieder in die Häuser zurückzubringen. So bleibt der Lastwagen den ganzen Film über auf der Straße stehen — und Herr Wallenberg, ein schwedischer Jude, der in Budapest mit der Rückendeckung der Botschaft jüdische Bürger von den Nazis freikauft, wird immer wieder an diesen Ort zurückkehren und mit den Bewachern über die Freigabe der Gefangenen verhandeln — die Beharrlichkeit eines Menschen unter Unmenschen.

Der schwedische Wettbewerbsbeitrag ist ein typischer Film zum Thema Holocaust. Das Licht ist blau und stumpf gesetzt, die Gesichter der Opfer sind fahl und voller Falten, und das Violoncello erinnert jeden Augenblick daran, daß die Zeiten hart und das Grauen schrecklich sind. Die Musik setzt immer dann ein, wenn der Dialog über das bevorstehende Schicksal unterbrochen ist — nicht eine Sekunde soll das triste Grau (jenes hoffnungslose Blau des Farbfilms) — zu einem Hoffnungsschimmer aufreißen. Aufrichtige Filme über die Verfolgung der Juden wollen nur Schmerz auf die Leinwand tragen — und God Afton, Herr Wallenberg ist ein aufrichtiger Film.

Raoul Wallenberg, der rettende Engel im tiefen Tal der Grausamkeit, wird von von Kjell Grede als Mann des Mittelmaßes vorgestellt — aber bei einem Volk von mittelmäßigen Mördern ist er der richtige Unterhändler. Er gibt nie auf, auch nicht, als die Liquidierung des Budapester Ghettos beschlossene Sache scheint. Er wird sie am Ende retten, 65000 Juden erleben die Befreiung der Stadt durch die Russen. Der Schwede hat um ihr Überleben gekämpft, wie er auch für die Menschen auf der Ladefläche alles riskiert hat. Nach mehreren Versuchen, die Posten zum Aufgeben zu bringen und die jüdischen Gefangenen freizulassen, befiehlt der Kommandant seinen Soldaten, von der Ladefläche zu springen. Aber einer der Uniformierten reißt doch im letzten Moment die Maschinenpistole hoch und feuert wild um sich. Zwei oder drei Juden überleben. Hat sich Wallenbergs Einsatz gelohnt? Es hat sich nicht gelohnt, aber nichts zu tun, führt zum gleichen Ergebnis. Raoul Wallenberg ist ein trauriger Held, ein verzweifelter Bürokrat der Menschlichkeit gegen eine Administratur des Todes.

Der Schwede bleibt immer korrekt, selbst während der kurzen Stunden des Schlafs legt er die Krawatte nicht ab. Absolut korrekt, schon fast penibel zu sein, das ist auch die Haltung des Films und gleichzeitig sein größtes Manko. Besonders deutlich wird das, wenn Katharina Thalbach, die eine jüdische Mutter spielt, den Tod ihrer Kinder beklagt und sich ebenfalls das Ende herbeisehnt — niedergestreckt von ihren Henkern, aber von Angesicht zu Angesicht: „Ich will nackt dabei sein, damit sie begreifen, das wir wirklich sind“, sagt sie und öffnet ihren Mantel, um mit ihrer Blöße ihr Menschsein zu zeigen.

Der Film weiß mit seiner Personen nur wenig anzufangen. Die Juden sind in ihm nur Verfügungsmasse. Anonym bleiben auch die wenigen Charaktere, Schattengestalten, die sich im Grau der Tristesse auflösen. „Ein Opfer ist kein richtiger Mensch“, sagt Katharina Thalbach an anderer Stelle. Der Film scheint gleicher Meinung zu sein. Christof Boy

Kjell Grede: God Afton, Herr Wallenberg, mit Stellan Skarsgard, Katharina Thalbach, Schweden 115 Min.