: “Entsetzt über all die abstrakten Patriot-Diskussionen“
■ Gegen jeglichen Rüstungsexport oder für Patriot-Raketen-Abwehrwaffen für Israel? Ein taz-Streitgespräch
Die vor zwei Tagen gescheiterte Israelreise einer grünen Delegation hat erneut gezeigt, wie fatal schwierig das Verhältnis Deutscher „Linker“ zu Israel ist. Die taz organisierte aus diesem Anlaß ein Streitgespräch mit zwei konträr denkenden BremerInnen: Dr. Helmut Hafner ist Mitarbeiter der Senatskanzlei und Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Käthe Jans ist Mitarbeiterin der Kampagne „Stoppt den Rüstungsexport“, Mitautorin des Buches „Kinder der Steine“ (über die palästinensische Intifada) und Lehrerin.
taz: Der grüne Vorstandssprecher Ströbele hat vor Beginn seiner Israelreise die Meinung vertreten, die irakischen Raketenangriffe auf Israel seien die logische Konsequenz der israelischen Politik. Wie denken Sie darüber?
Käthe Jans: Ich möchte mich auf so eine Logik eigentlich gar nicht einlassen. Für mich stellt sich die Frage anders. Wenn in Israel Menschen sterben durch irakische Raketen, finde ich das ganz schlimm. Aber ich finde es genauso schlimm, wenn im Irak Zehntausende von Menschen sterben durch die Allierten. Ich lehne die Logik von Ströbele ab.
Ich finde seine Äußerung unglücklich, aber ich möchte auch niemanden verurteilen.
Helmut Hafner: Ich halte die Äußerungen von Ströbele für ungeheuerlich. Es wird hier wieder die These verbreitet, daß im Grunde die Juden an ihrer Vernichtung selbst schuld sind. Deshalb finde ich es völlig zu Recht, daß er von seinem Amt zurückgetreten ist.
Es gibt auch Leute die sagen, wenn Ströbele jetzt zurücktritt, dann heißt das, daß eine kritische Position gegenüber Israel innerhalb der Grünen schon gar nicht mehr möglich ist.
äthe Jans: Das will ich nicht hoffen. Ich finde es wichtig, die israelische Politik in der Region und gegenüber den Palästinensern auch weiterhin zu kritisieren.
Wie bei den Grünen in der BRD über die Patriot-Raketen diskutiert wird, da finde ich allerdings vieles falsch. Ich sehe das so: Das ist ein Manöver der Bundesregierung, um sich selber zu entlasten. Der Bundesregierung geht es darum, die jahrelangen Rüstungsexporte in die ganze Region, nicht nur nach Irak, ihre üble Politik und Profitmacherei zu rechtfertigen. Daß das hier so allgemein aufgegriffen wird, und man sich darüber streitet, finde ich etwas merkwürdig. Aus verschiedenen Gründen: Zum einen werden diese Patriots ja gar nicht in der BRD hergestellt sondern in den USA. Das Problem, was die Israelis mit ihren Patriots haben, ist, daß sie sie selber nicht bedienen können. Es geht also nicht darum, daß Patriots unbedingt aus der BRD dorthin müßten.
Wenn Sie in Israel leben würden, würden Sie dann nicht auch für Patriots argumentieren?
Käthe Jans: Meine Position ist, ich bin gegen Rüstungsexporte. Ich lasse mich nicht auf so eine Argumentaion ein, in einer bestimmten Situation sind die Patriots gut in einer anderen schlecht. Ich bin gegen Rüstungsproduktion generell.
Helmut Hafner: Ich bin sehr froh über die Stellungnahme des Landesvorstandes der Grünen, der sich deutlich von der Ströbele-Position distanziert hat. Und zu Israel möchte ich sagen: Die erste und heftigste Kritik an Israel kommt immer aus Israel selbst. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß jeder Mensch eine demokratisch gewählte Regierung kritisiert.
Hier geht es aber um die Vernichtung Israels und wie man sich dazu stellt. Die Deutschen haben aufgrund des Völkermordes an den Juden eine besondere Verantwortung für das jüdische Volk und deshalb auch für den Staat Israel. Es ist für mich ein unvorstellbarer Gedanke, daß der Irak, der seit Jahren, schon 1977, wie jetzt in einem Buch „Unser Kampf“ steht, geplant hat, Israel zu vernichten. Und Saddam Hussein hat bisher immer getan, was er verkündet hat. Es ist für mich ungeheuerlich, daß deutsche Firmen, diesen Diktator mit in die Lage versetzen, Israel tödlich zu bedrohen durch Chemiewaffen. Das heißt, es ist eine zweite Endlösung an den Juden im Orient geplant. Wenn es nun die Möglichkeit gibt, solche Giftgasraketen, die auf Israel geschossen werden abzuwehren, ist das für mich eine Selbstverständlichkeit, daß man dem Land diese Raketen liefert, nicht nur um Menschenleben zu retten, sondern auch um eine Eskalation dieses Krieges zu verhindern. Denn wenn Israel durch Giftgas einen schweren Schlag erleiden sollte, dann habe ich gar keinen Zweifel daran, daß Israel zurückschlagen wird und möglicherweise nicht konventionell.
Wie empfinden Sie das, wenn deutsche Politiker nach Israel reisen und einen Scheck übergeben?
Helmut Hafner: Die Israelis jedenfalls sind empört, daß die Bundesregierung die Exporte ermöglicht hat und dann von eigener Schuld versucht abzulenken mit einem dicken Scheck. Ich habe zum Beispiel einen Freund in Tel Aviv, Jakob Silberberg. Er war in Auschwitz in einem Sonderkommando und mußte dort die Leichen aus den Gaskammern ins Krematorium schaffen. Dieser Mann sitzt heute mit seinen Kindern und Enkeln Nacht für Nacht und fürchtet sich vor einem Giftgasangriff, der mit deutscher Hilfe möglich wäre. Eine ungeheuerliche Vorstellung. Ich halte alle abstrakten Diskussionen für so brutal und verständnislos für die Situation der Juden und der deutschen Verantwortung, daß es mich entsetzt.
Käthe Jans: Mich verwundert ein bißchen, daß jetzt plötzlich in der BRD diese Diskussion aufflackert. Warum ist nicht vor ein paar Jahren argumentiert worden? Wir vom BUKO (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen — d.R.) haben seit Jahren öffentlich gemacht, daß es Rüstungsexporte in den Irak gibt und haben versucht, Rüstungsexporte zu verhindern. Das ist auch sozialdemokratischen Kreisen hier in Bremen seit Jahren vorgetragen worden. Wir haben gesagt: Das müßt ihr unterbinden. Aber es ist nichts passiert. Und jetzt sind sie plötzlich alle ganz fürchterlich moralisch betroffen. Gleichzeitig wird erwogen, Waffen nach Indien zu schicken. Ich bin gegen diese Doppelmoral. Ich bin nicht dafür, daß jetzt alles für Israel getan wird, und vor ein paar Jahren, als Saddam Hussein die Kurden mit Giftgas bombardiert hat, hat sich keiner geregt. Über Bremer Häfen ist seit Jahren der Export von Waffen abgewickelt worden. Die Bremer Landesregierung hat da nicht eingegriffen.
Es gibt doch die ganz konkrete Drohung Saddam Husseins, Israel zu vernichten. Was für ein Gefühl hatten Sie, als sie davon hörten?
Käthe Jans: Ich möchte hier noch mal was Technisches einfügen. Es gibt Experten, die sagen, daß Saddam Hussein nicht in der Lage ist, mit seinen Scud-Raketen chemische Waffen zu verschießen. Wenn die Raketen abgeschossen werden, entwickeln sie eine zu große Hitze und die Bemantelung der Sprengköpfe ist nicht möglich. Deshalb ist das selbst für die Irakis gefährlich. Andererseits finde ich natürlich die Drohung des Iraks eine schlimme Sache. Das Existenzrecht Israels ist nicht in Frage zu stellen.
Die israelische Regierung sagt, am besten wäre es, den Krieg solange weiterzuführen, bis der Irak militärisch enthauptet ist. Meinen Sie auch, dadurch wäre die Existenz Israels zu sichern?
Helmut Hafner: Meine Befürchtung ist, wenn der Irak zerstört wird, kann es sein, daß der letzte Tag des Krieges schon der erste Tag von einem neuen Krieg ist. Alle arabischen Staaten der Region werden von Regierungen geführt, die nicht demokratisch gewählt sind, die jeder Zeit gestürzt werden können, die ihre Waffen, die sie jetzt von der Allianz bekommen, möglicherweise auch wieder gegen Israel wenden. Für mich ist die einzige Perspektive, die es nach einer möglichen Niederlage des Iraks überhaupt gibt, durch die UNO, die EG und die Großmächte garantierte Verhandlungen der arabischen Welt selbst. Wir dürfen denen nicht erneut diktieren, was zu geschehen ist. Erst einmal müßte ein Zusammenhalt geschaffen werden, dessen Voraussetzung die Abrüstung der nichtkonventionellen Waffen ist. Da müßten alle mitmachen, einschließlich Israel. Es müßte Sicherheitsgarantien geben,damit Israel nie wieder das Gefühl hat, daß es von aller Welt verlassen ist.
Nur dann kann auch Israel Schritte nach vorne gehen. Wobei ich überzeugt bin, daß es nach dem Krieg viel schwerer sein wird als vorher, eine Lösung und einen Ausgleich im Nahen Osten zu finden.
Sind Sie dafür, jetzt auf einen Waffenstillstand zu drängen?
Helmut Hafner: Ich bin natürlich dankbar für jeden Tag, an dem der Krieg nicht mehr geführt wird. Weil er Menschenleben kostet und jedes Menschenleben ist es wert geschützt zu werden. Aber ich sitze hier weit weg. Ich kann mich, wenn ich mich in die Lage eines Israelis hineinversetze, der genau weiß, er soll vernichtet werden, dann bin ich wieder ratlos und frage mich: Kann man einem solchen Agressor wie Saddam Hussein möglicherweise seine nichtkonventionellen Waffen belassen? Das ist eine Frage, die mich überfordert. Was ich persönlich wünsche, ist, daß der Krieg sofort aufhört und daß versucht wird, andere Lösungen zu finden.
Käthe Jans: Aber das Problem ist doch, in welche Hände will man das legen? Der Irak ist von eben jenen Mächten hochgerüstet worden, die jetzt gegen ihn kämpfen und jetzt wird der einstige Verbündete Saddam Hussein verteufelt. Und die Unterschiede zu anderen Regimen in der Region sind nicht besonders groß. Viele sind langjährig Verbündete von den USA, sie sind von den Industrieländern aufgerüstet worden. Unter anderem wegen dem Öl sorgen die Industrieländer dafür, daß die undemokratischen Regierungen an der Macht bleiben. Das wichtigste ist, daß sich diese Länder untereinander einigen. Die Israelische Regierung hat einfach auch eine sehr aggressive Politik gemacht und die müßte sich auf jeden Fall ändern. Sie müßte einen anderen Weg finden und dazu ist die Ausrüstung mit konventionellen und nichtkonventionellen Waffen nicht angetan. Dazu kommt, daß die israelische Regierung auch bei der Wahl ihrer Verbündeten nie besonders wählerisch. Beispielsweise hatte sie mit Südafrika eine langjährige Rüstungszusammenarbeit auch im atomaren Bereich hinter sich.
Wie haben Sie das aufgenommen, daß es jetzt in der israelischen Regierung einen Minister gibt, der offen dafür eintritt, die Palästinenser zu vertreiben?
Käthe Jans: Ich habe den Eindruck, die israelische Regierung treibt immer weiter nach rechts. Vor kurzem sind wieder Verhandlungen mit der PLO abgelehnt worden. So kann es in der Region auch keine Lösung geben.
Helmut Hafner: Auch ich bin sehr unglücklich über die Berufung dieses Ministers, aber ich möchte nicht über Probleme der israelischen Regierung reden, solange es noch Krieg gibt. Mir geht es jetzt erstmal um die Existenz dieses Landes.
Andererseits werden aber mit der Berufung dieses Ministers Zeichen gesetzt, die langfristig eine Lösung unter Einbeziehung der Palästinenserfrage verhindern
Helmut Hafner: Natürlich ist das viel tiefere Problem, daß die Spannung zwischen Israelis und Palästinensern sowieso schon stark war. Das ist durch die Unterstützung Saddams von Seiten der Palästinensern noch wesentlich zugespitzt worden. Deshalb wird es viel größerer Anstrengungen bedürfen, um überhaupt zu einem Dialog zu kommen.
Wie sehen Sie die Rolle der Friedensbewegung?
Helmut Hafner: Anfangs war ich entsetzt war, daß dominierende Kräfte der Friedensbewegung Israel völlig vergessen hatten. Aber dann habe ich festgestellt, daß es da ein Nachdenken und Umdenken gab. Was mich empört hat, war auch, wie die Bundesregierung die Friedensbewegung benutzt hat, um von eigener Schuld abzulenken und ihr praktisch die moralische Schuld zugeschoben hat. Ich befürchte, daß die Nachdenklichkeit und Erschütterung besonders der jüngeren Menschen in Resignation umschlagen könnte. Denn wenn diese Erde überhaupt noch eine Chance hat, dann ist es die, daß die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufwachen und spüren, wie bedroht ihre Erde ist und anfangen, sich zu engagieren. Das war für mich das Große und sinnvolle dieser Friedensbewegung. Das schlimmste, was diesem Land passieren könnte, wäre, daß sich diese jungen Menschen zurückziehen und Politik Politik sein lassen.
Käthe Jans: Ich sehe auch eine Menge Positives in der Bewegung, besonders, daß so viele Schüler auf der Straße waren. Dadurch ist ein großes politischen Interesse entstanden sich zu engagieren und sich mit Themen wie Rüstungsexport auseinander zu setzen. Wenn da was übrigbleibt, bin ich schon fast zufrieden, ich in da bescheiden. Gespräch: Birgit Ziegenhagen,
Barbara Debus
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