: Mein Drillichzeug, mein Khakihemd, meine Kampfhose!
■ Über den Mörder in der Postmoderne: „Roberto Zucco“, inszeniert von Gerhard Willert, im Schauspielhaus
hierhin bitte
den Mann, der auf die
Frau zuläuft
Soeren Langfeld (Zucco) und Dagmar Schwarz (Dame)
So schwach ist dem Bremer Theater womöglich schon, daß es ein richtig gutes Stück gar nicht mehr übers Herz brächte. Der „Roberto Zucco“ aber im Schauspielhaus ist immerhin eines der besten seit längerer Zeit. Was für ein Stoff auch! Ein Mörder neuen Typs. Einer aus gar keinem Grund, und macht mit Vater, Mutter, Geisel keinerlei Umstände, von mildernden zu schweigen. Er ist, darf man sagen, ein Abenteurer. Der letzte dieser postmodernen Allerweltswelt, und umso schrecklicher. Wo immer er umgeht, ist die Welt zu Ende und die Camel-Trophy noch weit.
Gerhard Willerts Inszenierung, das zeigte die Premiere am Donnerstag, ist nicht fertig. Es liegen noch Szenen und Figuren herum. Anderwärts aber ist das Spiel schon, wie es sein muß: quasi bleich, fast durchsichtig vor Konzentration auf diese äußerste Figur.
Soeren Langfeld spielt einen kaltfiebrigen Zucco, der zähnemalmend und auf die finsterste Weise entschlossen ist zu nichts. Er ist, wie ein entsetztes Tier, immer auf dem Sprung. Selbst seine Sprache hastet, in kurzen Sätzen, von Deckung zu Deckung. Bevor er die Mutter tötet, tritt er ihr entgegen, starren Augs, den entsicherten Blick schon im Anschlag, und fordert: „Mein Drillichzeug, mein Khakihemd, meine Kampfhose!“
Zuccos Insignien sind, wie auch die wenigen andern Zeichen im Stück, einfach und stark. Auf ausgenüchterter Bühne (Florian Parbs) sehen wir: die Telefonzelle, die klinisch tote Kleinbürgerküche, den Puff-Vorhang, gerafft, rot. Und wir sehen Zuccos Messer blitzen. Lauter Dinge, die längst gebenedeit sind im mythischen Sinn, Dinge, die der rasenden Entwertung aller Bilder und Zeichen vielleicht ein wenig standhalten. „Blut ist das einzige, was nicht verschwindet“, sagt Zucco. Einzig dieser Wille, nicht zu verschwinden, macht ihn bei weitem gefährlicher als seine Kollegen vom Schlag des Gemeinen Mörders (homo abschus communis), die, sei es aus Geldgier oder sonst einer Leidenschaft, nichts weiter mehr sein können als Handlanger der großen Kollektive und ihrer Medien.
Diesen einsamen Zucco wollen wir lieben müssen wegen seiner Kraft, und wir wollen ihn verabscheuen dürfen wegen seiner hotzenplötzlichen Ausbrüche, und meist geht das. Bloß auslachen können sollten wir ihn nicht. Leider kitzelt uns Willert. Die Geisel-Szene, die im Grunde unter reißender Anspannung steht, die ist im Schauspielhaus ein Lacherfolg. Wo die Passanten vor Schaulust ganz verhext wären, da machen sie stattdessen Humorkleckse auf die Bühne. Auch anfangs die Mutter (Dagmar Schwarz) ist, selbst angesichts des Sohnes, der sie schon in den Blick nimmt, bloß ein aufgekratztes Huhn. Da ist der Regisseur auf halbem Weg zum strikt vereinfachten Mutter-Zeichen einfach stehengeblieben: bei der Strich- Skizze, der Witzfigur.
Noch etwas stört. Das Stück hat den ruhigen Gang von Tatsachen: 15 Bilder folgen einander, von harten Lichtwechseln sozusagen konstatiert, als szenische Hauptsätze, Punkt. Darin ist, das macht den ganzen Sog, nichts überflüssig. Bloß leider viel Tripplerei und Gezupfe. Manche Gestalten hat Willert statt mit Aura mit kinetischem Detailreichtum versehen: die Schwester etwa ist, wohl aus Freundlichkeit, derart zerlegt in kleine, leicht spielbare Gesten, daß Angelika Bißmeiers virtuose Darstellung der Figur eher schadet.
Zucco ist nix für gestisches Repertoire und nix für Gags, Zucco wär schon der Ernstfall, ein Mensch, der in der Katastrophe haust, einer, den die Staatsmacht in uns fürchten müßte. Vielleicht hat Willert auch ein bißchen Angst gehabt. Lebhafter Applaus am Ende. Manfred Dworschak
Nächste Aufführungen am kommenden Dienstag und Mittwoch, je 20 Uhr im Schauspielhaus
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