: Vermietet nicht an Ungläubige
Die Islamisierung des Sudan ■ Von Moyiga Nduru
Im Sudan ist eine neue Regelung in Kraft getreten, wonach in Bussen Passagiere nach Geschlecht getrennt zu sitzen haben: eine Maßnahme der Regierung, um die Islamisierung des Landes verstärkt voranzutreiben. Dieser Segregationserlaß wurde an einem Sommermorgen 1990 ausgegeben. Viele Sudanesen nennen diese unsichtbare Trennlinie zwischen den Geschlechtern „die neue Berliner Mauer“.
Die Duchsetzung der Scharia
Normalerweise hält man sich an die neue Regelung, aber manchmal geht es schief. Eines Tages saß beispielsweise ein junger Mann mit seiner Mutter zusammen auf einer Bank in der Männerabteilung; unbehindert fuhren sie drei Haltestellen weit. Plötzlich jedoch betrat ein Mann mit autoritärem Gehabe den Bus und schrie die alte Frau an, sie solle gefälligst aufstehen und einen Mann dort sitzen lassen. Die Frau blieb sitzen. Der Mann, ein Mitglied des von der herrschenden Junta gegründeten und allseits gefürchteten „Volkskomitees“, schwor, er würde dafür sorgen, daß die beiden bestraft und ihr Vergehen mit 40 öffentlich verabreichten Hieben geahndet wird.
Der stellvertretende Beauftragte für die Provinz Khartum, Oberstleutnant Yousif Abdel Fatah, ist einer der eifrigsten Durchführer des islamischen Gesetzes, der Scharia im Lande und wird allgemein „Rambo“ genannt. Er hat Hausbesitzern gedroht, ihre Häuser zu konfiszieren, sollten sie deren Gebrauch als Bordell oder als Herstellungs- und Verkaufsstätte von Alkohol erlauben. Im Norden Khartums wurden kurz nach dem Umsturz im Juni 1989 viele, die der Prostitution oder Alkoholherstellung verdächtigt wurden, aus ihren Häusern vertrieben. Militante Moslemführer und Imame helfen den Behörden und fordern in ihrem Freitagsgebet die Gemeinden auf, ihre Häuser nicht an Ungläubige zu vermieten.
Seit dem Umsturz der demokratisch gewählten Zivilregierung von Sadiq al-Mahdi durch General Omer el-Beshir im Juni 1989 hat sich das Tempo, mit dem der Sudan in den islamischen Fundamentalismus abgleitet, noch verstärkt. Seither ist die Junta, unterstützt durch die einzig überlebende inoffizielle Partei der Islamischen Nationalen Front (INF), eifrig damit beschäftigt, den „Säuberungsprozeß“ der Gesellschaft voranzutreiben. Der auf 25 Millionen geschätzten Bevölkerung des Landes, von der ein Drittel im nichtmoslemischen Süden des Landes wohnt, soll schnellstens der Kanon der islamischen Werte beigebracht werden.
Die Bevölkerung des Südens, hauptsächlich Christen und Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen, beklagen ständige Demütigungen im arabisch-moslemischen Norden. Täglich werden Hunderte öffentlich ausgepeitscht, mit Geldstrafen belegt und in die Gefängnisse geworfen wegen Herstellung, Verkauf und Konsum von Alkohol — nach islamischer Auffassung schwere Vergehen. Die meisten Leute aus dem Süden, die sich zur Zeit im Norden aufhalten, sind Flüchtlinge, die durch Trockenheit, Hungersnot und den im Süden seit sieben Jahren wütenden Bürgerkrieg in den Norden des Landes getrieben wurden. Etwa zwei Millionen leben in Khartum, meist in extremer Armut, und verdienen sich ihren Lebensunterhalt durch Straßenverkauf von selbstgebrühtem Tee. Auch die Straßenverkäufer sind zum Ziel von polizeilicher Verfolgung geworden; sie werden verhaftet, vor Gericht gebracht und mit Geldstrafen belegt, da sie meist nicht im Besitz einer Verkaufslizenz sind.
Die Einführung der Scharia-Gesetze hat auch diejenigen aus dem Süden getroffen, die für die Regierung arbeiten, besonders Richter. Die in London erscheinende 'Sudan Democratic Gazette‘ schrieb im Oktober 1990: „Mindestens elf hohe Richter Südsudans sind vom Khartum-Regime entlassen worden, darunter Richter William Ariamba von der Staatsanwaltskammer. Ariamba war bereits unter Al-Mahdi vom Obersten Richter zur Staatsanwaltskammer versetzt worden, um einem moslemischen Richter Platz zu machen; mit seiner Entfernung war sichergestellt, daß keiner aus dem Süden mehr in dieser illustren Körperschaft vertreten war. Die Begründung für die Entlassung der im Gerichtswesen beschäftigten Menschen aus dem Süden ist, daß man die Durchsetzung der Scharia-Bestimmungen ohne „Verzug und Hindernis sicherstellen will.“
Die Zeitschrift, deren Herausgeber der frühere Minister und Herausgeber der kritischen 'Sudan Times‘, Bona Malwal, ist, äußerte sich ähnlich pessimistisch über die Aussichten für nichtmoslemische Juraabsolventen. „Seit dem Machtantritt der Junta ist nicht ein Bewerber aus dem Süden neu in den Gerichts- und Rechtsapparat des Landes aufgenommen worden. Ihre Anträge wurden alle abgelehnt.“ Auch nichtfundamentalistische Araber des Nordens entgehen den Säuberungen nicht. Am stärksten betroffen sind Beschäftigte der Ministerien der Verteidigung, des Inneren, der Justiz und des Außenministeriums.
Ein weiterer Bereich, der unter fundamentalistische Kontrolle geraten ist, sind die Medien; das nationale Fernsehen, der Rundfunk und die drei Tageszeitungen stehen alle fest im Dienst der „islamischen Werte“.
Vor Beginn der Säuberungen etablierte die Regierung mehrere geheimdienstliche Institutionen; eine der gefürchtetsten und mächtigsten wird geleitet von einem Fundamentalisten, der früher Dozent an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Khartum war. Seine Ausbildung in geheimdienstlichen und terroristischen Methoden erhielt er im Iran und in Pakistan. Die Welle von Verhaftungen, Folterungen und Morden im Sudan der letzten zwölf Monate geht auf sein Konto. Dieser Geheimdienst hat die sudanesische Bevölkerung derart in Furcht und Schrecken versetzt, daß sich ein für diese Gesellschaft beispielloses Mißtrauen aller gegen alle auszubreiten beginnt.
Im Außenministerium haben viele nichtfundamentalistische Diplomaten ihre Arbeit aufgeben müssen. An ihrer Stelle wurden in aller Eile 22 Fundamentalisten rekrutiert und ohne weitere Ausbildung Mitte 1990 auf die Botschaften in aller Welt verteilt. Einem Artikel in der ägyptischen Zeitung 'Wafd‘ zufolge sind die meisten „examinierte Akademiker und Naturwissenschaftler oder kommen von Musik- und Theaterfakultäten.“ Unter ihnen ist beispielsweise Mekki Ali Ballabil, der vor dem Abschluß seines Kunststudiums 1986 Anführer der islamischen Fraktion innerhalb der Studentengewerkschaft an der Universität von Khartum war. Er ist jetzt Erster Sekretär an der sudanesischen Botschaft in Kairo.
International-islamische Einmischung in den Krieg im Sudan ist nichts Neues: Der Norden hat sich mit Bitten um Unterstützung gegen die sogenannte „christliche Verschwörung“ des Südens schon immer an arabische und islamische Länder gewandt. Die Fundamentalisten glauben, daß die derzeitigen säkularen Gesellschaftsordnungen, die in den meisten islamischen Ländern in Kraft sind, nur „durch Repression aufrechterhalten“ werden und daher auch „nur auf Zeit“ existieren können. Mit dem Hinweis auf die Türkei läßt sich „beweisen“, daß selbst nach mehr als sieben Jahrzehnten säkularer Ordnung dieses System noch durch das Militär kontrolliert werden muß. Allerdings wird auch die neue Ordnung im Sudan erst durch das Militär garantiert... Die Partei der Islamischen Nationalen Front (INF), ursprünglich Al-Ikhwan Al Muslimoun, wurde in den späten vierziger Jahren von sudanesischen Studenten gegründet, die während ihres Studiums in Ägypten vom Führer der ägyptischen Muslimbrüder, Hassan al-Banna, beeinflußt worden waren. Die Organisation nahm nach dem Umsturz Präsident Gaafer Nimeiris 1985 ihren jetzigen Namen an, um auch andere islamische Fraktionen zu sich zu ziehen. Die Partei ist vor allem in Städten stark und hat viele Mitglieder aus der Elite des Landes rekrutieren können, besonders die Kinder der oberen Schichten. Mit finanzieller Hilfe von international operierenden islamischen Banken, wie beispielsweise der „Feisdal Islamic Bank“, will die Partei ein theokratisches Staatssystem im Sudan errichten. Sie war unter der Führung von Dr.Hassan el-Turabi die einzige Partei, die die Einführung der Scharia-Gesetze im September 1983 durch Nimeiri aus vollem Herzen unterstützte. Promptes Resultat war damals ein hundertfaches Abschlagen von Gliedern für Diebstahl, Auspeitschungen und Geldstrafen für die Herstellung und den Konsum von Alkohol und führte zu heftigen Kontroversen im Land. Im Süden, wo diese Gesetze mit roher Gewalt durchgesetzt wurden, gingen Tausende junger Männer zur Volksbefreiungsfront SPLA über, die seither zur führenden Widerstandsgruppe gegen die Scharia geworden ist.
General Abdel Rahman Sowar e-Dahab, der im April 1985 Nimeiri stürzte, weigerte sich, die Scharia außer Kraft zu setzen, und zwar mit dem Argument, er habe dafür kein Mandat vom sudanesischen Volk. Die Frage der Scharia solle von der demokratisch gewählten Zivilregierung gelöst werden, die ihn in Kürze ablösen würde.
Dem Mörder winkt das Glück des Paradieses
Der neue Premierminister Al- Mahdi, der die folgenden Wahlen gewann, weigerte sich jedoch ebenfalls, das heiße Eisen anzufassen — obwohl er unter Nimeiri für seine Opposition gegen die Durchsetzung der Scharia im Gefängnis gesessen hatte. Nur die extremsten Bestrafungen, wie Amputationen und das Zu- Tode-Steinigen bei Ehebruch, verbot er; er hoffte wohl, daß sich das Problem mit der Zeit durch einen Dialog zwischen den sehr verschiedenen Parteiungen des Landes langsam von selber lösen werde. Früher hatte Al-Mahdi die Position vertreten, daß die Scharia erst dann eingeführt werden solle, wenn der Staat die Lebensbedingungen der Bevölkerung entschieden verbessert habe und die Armut abgeschafft sei.
Es gab zwei entscheidene Gründe, warum auch Al-Mahdi das Gesetz nicht außer Kraft setzte: Er mußte fürchten, dann nicht mehr als guter Moslem zu gelten, und er hatte Angst vor der Rache der Fundadamentalisten. Dies beides ist natürlich eng miteinander verknüpft, denn die Fundamentalisten drohten, jeden Moslemführer, der es wagen würde, das Scharia-Gesetz anzutasten, zum „Ungläubigen“ zu erklären und umbringen zu lassen. Dem Mörder winke der Ruhm des Paradieses.
Kann man das Gesetz Gottes zur Abstimmung stellen?
Als General el-Beshir zur Macht kam, schlug er sofort ein nationales Referendum über die Scharia vor. Viele Moslems fanden das irritierend: Kann man das Gesetz Gottes zur Abstimmung stellen? Nichtmoslems und westlich orientierte Säkularisten des Nordens fürchteten, daß die Abstimmung nur zu einer Bestätigungsfarce werden könnte, da über 60 Prozent der Bevölkerung Moslems sind. Die Mehrheit davon lebt in ländlichen Gebieten und würde wohl erst recht nicht „gegen Allah“ stimmen wollen. Das Referendum wurde schließlich durch eine „Konferenz des nationalen Dialogs“, die im September stattfand, ersetzt. Eine ihrer Empfehlungen sieht die Einführung eines föderalen Systems für den Sudan als einziges Mittel zur Lösung der Scharia-Frage vor.
Diesem Vorschlag zufolge sollte der sudanesische Staat sich aus den neun existierenden Regionen zusammensetzen, die jede das Gesetzessystem bei sich in Kraft setzt, das der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung entspricht; kurz gesagt hieße das, daß im Norden die Scharia und im Süden ein säkulares System herrschen würde. Fraglich ist in diesem Modell weiterhin der Status der Hauptstadt Khartum, die im moslemischen Norden liegt. Nichtmoslems schlagen vor, daß Khartum säkular bleiben und damit sowohl die Heterogenität als auch die Einheit des sudanesischen Volkes spiegeln solle. Ihre Angst ist natürlich, daß Khartum, sobald es unter Scharia- Gesetzen steht, die säkularen Landesteile nicht mehr gerecht verwalten würde. Falls es jedoch zu einer „Islamischen Republik“ kommen sollte, müssen die Menschen des Südens wohl weiterhin fürchten, daß ihre beruflichen Aussichten schlecht bleiben. Viele erinnern sich daran, wie Nimeiri seinen christlichen Stellvertreter, General Joseph Lagu, zurückdrängte. Wer nicht islamischen Glaubens ist, kann nur mit Pessimismus in die Zukunft blicken, falls es wirklich zu einer „Islamischen Republik Sudan“ kommen sollte. Der neue Presseattaché der sudanesischen Botschaft in London, Abdulwahab El Affendi, hat diese Befürchtung durch seine Zurückweisung sämtlicher nichtislamischer Stellungnahmen bei der Diskussion der politischen Zukunft des Sudans nur bestätigt.
Die Vision eines einheitlichen moslemischen Sudans: unendlich viel erhabener
Im August 1990 schrieb er in der in London erscheinenden Zeitschrift 'Africa Events‘, daß die „bewaffnete Revolution“ im Sudan ein zweischneidiges Schwert sei. Er weist die Auffassung der Rebellen zurück und fährt fort: „Die Vision der SPLA von einem weltlichen, sozialistischen Sudan als der einzigen Grundlage für ein demokratisches Sudan hat Konkurrenz bekommen: die Vision eines einheitlichen moslemischen Sudan, der ebenfalls durch bewaffneten Kampf herbeigeführt werden könnte.“ Nicht wenige sind der Ansicht, das letzteres unendlich viel erhabener und wirksamer ist und in größerer Übereinstimmung mit demokratischen Prinzipien steht, das heißt wesentlich weniger Repression verspricht als das sozialistische Sudan der SPLA. Mehr noch, diese Vision ist schon jetzt sehr viel mehr Realität, als die Vorstellung der SPLA es im Sudan je sein wird.
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