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Überfall auf Flüchtlinge

In Sachsen stürmte ein Schlägertrupp ein Wohnheim für Asylbewerber  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Sie kamen in der Nacht, und sie waren bewaffnet mit Eisenstangen, Holzlatten und Spaten: Bereits am vorletzten Wochenende hat ein Schlägertrupp das sächsische Flüchtlingswohnheim in Leisnig bei Döbeln überfallen und die Bewohner systematisch zusammengeschlagen. Mit teilweise schweren Schnitt- und Schlagverletzungen flüchteten Menschen aus Pakistan, Indien, der Türkei und Vietnam vor ihren Peinigern im Schlafanzug und barfuß aus dem Wohnheim. Doch die etwa dreißig Angreifer kannten kein Erbarmen. Mit dem Ruf „Scheiß Ausländer!“ wurde einem flüchtenden Türken mit einer Eisenstange der Hoden verletzt, ein anderer wurde am Auge getroffen. Wer nicht fliehen konnte, wurde in seinem Bett brutal zusammengeschlagen — „egal ob Männer, Frauen oder Kinder“.

Von dieser Schreckensnacht im Flüchtlingswohnheim Leisnig berichteten am Sonntag die AsylbewerberInnen, die sich Ende der vergangenen Woche von ihrem Taschengeld eine Bahnfahrkarte nach Frankfurt am Main kauften, um den „unglaublichen Zuständen in Ostdeutschland“ zu entfliehen. Ein pakistanischer Staatsangehöriger, der in seiner Heimat aus politischen Gründen verfolgt wurde, sprach aus, was alle dachten: „Zu Hause will man uns töten, und in Ostdeutschland auch. Wo sollen wir denn jetzt noch hingehen?“ Ein indischer Kollege liege noch immer in Sachsen im Krankenhaus. Und andere hätten sich zu Bekannten nach Kassel und Nürnberg durchgeschlagen. Bis heute kann die Gruppe der malträtierten Flüchtlinge nach einer Entscheidung der Lagerleitung in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft in Schwalbach bleiben. Alles weitere, so Lagerleiter Möser, müsse vom hessischen Sozialministerium entschieden werden.

Wie die Flüchtlinge gestern weiter berichteten, hätten sie in der Schreckensnacht noch nicht einmal Hilfe holen können, da es im Wohnheim Leisnig kein Telefon gebe. Auch der Medizinschrank sei verschlossen gewesen. Erst am Morgen sei ein Arzt gekommen, doch der habe den Verletzten die Ausstellung von Attesten verweigert. Da die Schläger das gesamte Wohnheim demoliert hatten, wurde die Flüchtlingsgruppe in eine Unterkunft in Delitzsch verbracht. Dort sei ein Asylbewerber aus Afghanistan gestorben, „weil er nicht ausreichend medizinisch versorgt wurde“. Danach hätten sie sich entschlossen, sofort Ostdeutschland zu verlassen. Die gesamte Gruppe richtete gestern in Schwalbach einen Appell an Lagerleitung und Landesregierung: „Bitte schicken Sie uns nicht wieder zurück in den Osten.“

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