: Die wilden Filme der Drachensöhne
Crossover zwischen Kunst und Kommerz — Zur kleinen Hongkong-Film-Reihe in der ARD ■ Von Manfred Riepe
Das Bett des Meisters ruht auf dem Rücken der Schildkröte. Die Kraft kommt aus der Ruhe, der Würde und der Disziplin. Sieben Jahre sitzt der wackelnde Bettpfosten auf dem Panzer des Schalentiers. Als Sinnbild ist die Schildkröte filmische Entsprechung der entbehrungsreichen, beschwerlichen Ausbildung, die Meister Yu seinen sieben Schülern angedeihen läßt, bis aus ihnen Schauspieler der heute fast ausgestorbenen Pekingoper geworden sind.
In seinem preisgekrönten Film Leben hinter Masken (Sendetermin 11.3.) von 1989 schuf Alex Law ein athmosphärisch einfühlsames Portrait dieser Schauspielform, die martialische Akrobatik mit einer strengen seelischen Erziehung verbindet. Der Film beginnt, als suche er nach Bildern zu Brian Enos Ambient Music. Behutsam streicht die Kamera zu schwebenden Bambustönen über überwucherte Steinballustraden, zeichnet zarte Ornamente aus Mensch und Architektur. Kaum sind wir von dieser Atmosphäre eingenommen, beginnt auch schon die Ausbildung, deren gnadenlos-unbarmherzige Härte und Strenge wohl jedem Diplompädagogen den Kommentar „unmenschlich“ entlocken würde.
Die kluge Regie Alex Laws bringt uns auf sehr vielschichtige Weise nahe, wie das kleine Internat Meister Yus die Miniatur einer im Umbruch befindlichen Gesellschaftsordnung ist. Einer Ordnung, in der Beruf noch Berufung ist und das bedingungslose Vertrauen und die Hingabe an den Meister ein ethischer Wert. Der Film spielt Ende der 60er und zeichnet das Klima der Verwestlichung Hongkongs nach. Beatles und Zelthosen werden modern. Statt in die Pekingoper geht man in die Turnhalle zum Beatclub. Eine Liebesgeschichte wird angedeutet und diszipliniert wieder ausgeblendet. Nie gerät der Film in verbrecherisches Hollywood-Fahrwasser.
Mit dem Schwund der Zuschauer muß Yu seine liebevoll ausgebildeten Sängerakrobaten als Stuntmen an die Filmstudios vermitteln. So erfahren wir einiges über den Kulturtransfer der „Martial Art“ der Pekingoper in den Kung-Fu-Film, mit dem das Hongkong-Kino Ende der 60er weltweit boomte und dabei seinen schlechten Ruf erwarb.
Die Geschichte ist nach authentischen Motiven erzählt. Derzeit berühmte Kung-Fu-Darsteller wie Sammo Hung und Darsteller-Regisseur Jackie Chan lieferten den Stoff. Bis in die späten 70er war fast die gesamte Filmindustrie Hongkongs identisch mit dem Zelluloid-Imperium der Shaw-Brothers. Filme wurden in drei Schichten am Fließband produziert. Billigstlöhne garantierten geringe Herstellungskosten. Simple Bond-Imitationen wurden in firmeneigenen Distributionsgesellschaften vertrieben.
Mit Lees Tod im Jahr 1973 war der Verfall vorgezeichnet. Das Shaw-Imperium wurde aufgelöst, der Filmbestand nach Südafrika verkauft. Eine Gruppe jüngerer Regisseure wie Tsui Hark und John Woo traten auf den Plan, die ihr Handwerk im Ausland, unter westlichen Kultureinflüssen gelernt hatten, und in Honkong zunächst außerhalb des maroden Studiosystems drehten. Patric Tams Das Schwert (am 23.3.) knüpft zwar im Handlungsaufbau an die Tradition monoton heruntergekurbelter Endlosprügeleien an. Doch Tam, der als einer der Begründer der „Neuen Welle“ gilt, gelingt es, stille Szenen und Aktionsausbrüche in einem kalkulierten Rhythmus aneinanderzureihen und die Actionszenen durch effektvoll gesetzte Pausen zu gliedern.
Clifton Kos Ente gut, alles gut (am 25.3.) ist eine etwas zu klamaukhaft geratene Anlehnung an Itamis Nudeloperette Tampopo. Interessanter ist Ann Huis sensibles Frauenporträt Sterne in der Nacht von 1988 (am 8.4.). Obwohl man im Hongkongkino zu großen Gefühlen neigt, erzieht Ann Hui den Pathos ihres Romeo-und-Julia-Melodrams eher aus der epischen Breits und nicht aus ausgelutschten Großaufnamhen von schmachtenden Mündern und tausendmal gesehenen Gesten.
Die besondere Verwertungssituation des nach den USA und Indien zahlenmäßig drittgrößten Produktionslandes der Erde ist auf den Inselstatus der 5,4-Millionen-Stadt zurückzuführen. Das Datum 1997, mit dem der Stadtstaat zurück an China fällt, hat sich bereits spürbar dämpfend auf die Anzahl der vormals ca. 100 Neuproduktionen jährlich ausgewirkt.
Produziert wird derzeit dennoch fast ausschließlich für den eigenen Markt. Ausländische Filme haben kaum eine Chance. Die mahlstromhafte Enge des Inselstaates, die 150.000 Menschen auf einen Quadratkilometer pfercht, treibt den Hongkongbürger durchschnittlich elfmal pro Jahr ins Kino (Platz drei hinter China und UdSSR). Was dort auf der Leinwand zählt, ist quirlige Lebendigkeit. In Actionfilmen geschieht alles Knall auf Fall. In der Zeit, in der Martin Scorsese die Gesichtsfurchen von Robert de Niro ausleuchtet, wird in einem Hongkongfilm ein halbes Drama abgewickelt. Das ist eine eigenartige Mischung, die diesen wilden Filmen der Drachensöhne innewohnt; zuweilen bekommt man den Eindruck, als wäre das Kino dort neu erfunden worden.
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