„Ich hab's alles mitgemacht“

■ Erfahrungsbericht einer Klientin über sexuellen Mißbrauch in der Therapie

Das folgende Gespräch ist ein Ausschnitt aus der Sendung zettBeh, „Risiko Psychotherapie“ von Radio Bremen 2 vom 6.10.1990.

Wir haben zusammengesessen mit mehreren Leuten, abends. Wir haben Haschisch geraucht. Ich weiß, daß ich an dem Abend nichts geraucht hab, weil ich gefastet hab. Es wurde aber auch Alkohol getrunken. Und ich saß auf einer Bank neben ihm, hatte meine Füße auf seinem Schoß. Das war auch für mich vollkommen in Ordnung so. Da war für mich überhaupt nichts Komisches dran. Und auf einmal zog er mich also auf seinen Schoß. Also, Beine breit saß ich denn auf seinem Schoß. Und dann fing er an, mich zu berühren, überall. Aber so fing er an mich zu berühren, daß es schon sehr merkwürdig war für mich.

Ich habs alles mitgemacht. Das ist richtig. Aber wo es mir hinterher auch so schlecht mit ging, war die Situation, daß er das, was er mit mir gefühlt hat, was er mit mir gemacht hat, allen anderen vermittelt hat. Er hat also mich aufm Schoß gehabt und hat dann zu allen Leuten, die dabei saßen, sechs Leute waren es, glaub ich, Frauen und Männer, „ach, fühlt sich das weich an“ und „ach, ist das schön hier“ und „ach, ist das feucht hier“ und so weiter. Und das war eigentlich auch so das Verletzende für mich.

Habt ihr denn auch vor allen anderen miteinander geschlafen oder was ist da konkret passiert?

Nein, miteinander geschlafen haben wir nicht. Er hat angefangen, meinen Busen zu streicheln und dann ist er irgendwann in meine Scheide eingedrungen mit seinem Finger. Und alles das, was er dort erlebt hat, hat er verkauft nach draußen hin. Das war für mich...Ich weiß nicht - ich hab es einfach mit mir machen lassen. Und ich denke, wenn er mehr gemacht hätte, ich hätte auch das mitgemacht.

Ich war überhaupt nicht in der Lage, nein zu sagen, mich zu wehren. Überhaupt nicht. Ich hab gedacht, das gehört alles dazu. Wir waren sowieso alle so drauf: offene Beziehung ist sowieso gut, hier mal und da, alles, was du fühlst, mußt du ausleben und das ist in Ordnung. Ob man da jetzt mit klarkommt oder nicht, das ist ja was anderes. Aber erstmal alles ausleben, was da ist. Und das hatte er einem auch immer selber vorgelebt. Und hat einem aber auch nicht vermittelt, daß das ja eventuell Schwierigkeiten mit sich bringt, nein. Wie in so'm Trauma saß ich da, und habs einfach alles so mitgemacht. Ich war ja selber auch aktiv. Gut, ich hab ihn ja auch im Arm gehalten, hab ihm da, was weiß ich, den Rücken gestreichelt oder so. Hinterher, das war auf einmal ganz abrupt, hat er mich genommen und auf die Bank zurückgesetzt. Und dann bin ich dann irgendwann ins Zelt gegangen und da kam mir so..., ich habs für mich überhaupt nicht auf die Reihe geekriegt, was da passiert ist. Weil ich das, was ich dort erlebt hab, überhaupt nie erleben wollte, nie. Was er mir hinterher immer vorgeworfen hat.

„Das wollte ich nie erleben“

Er hat mir vorgeworfen, daß ich das provoziert hätte, zu anderen Leuten, was mir wieder zu Ohren gekommen ist, hat er erzählt, daß ich so geil gewesen wär, daß ich so heiß gewesen wär und daß er sich hätte kaum wehren können. Und ich hätte das gewollt. Und aufgrund der Tatsache, daß ich es nicht gekriegt hätte, was ich eigentlich wollte, nämlich so wahrscheinlich ganz mit ihm zu schlafen, hab ich die Therapie bei ihm vollkommen abgebrochen. Das war seine Argumentation, die er den anderen Leuten verkauft hat.

Wie ging denn dieser Workshop überhaupt noch zuende?

Ich hab das vollkommen verdrängt, alles. Ich hab immer nur gedacht: nicht daran denken, einfach so weitermachen wie bisher. Obwohl ich immer wieder mitkriegte, wie er mit einzelnen Frauen wegging und auch wo die Frauen, wo wir miteinander saßen und wo es auch klar war: er hatte mit denen geschlafen. Und er hat da auch kein Hehl von gemacht. Er hat das auch gesagt. Ja, daß er mit der mal geschlafen hat. Und das andere, diese ganzen Verwirrungen, diese Arbeiten, die ich für ihn gemacht habe, da an dem Workshop, die haben mich dermaßen verwirrt und eingenommen, daß ich gar nicht reflektieren konnte.

Und erst hinterher, drei Monate hab ich mich ja ausgeklingt aus allem, hab mit den Leuten nicht mehr zu tun gehabt, und wollte auch einfach nicht mehr mit Karl oder so zu tun haben. Überhaupt nichts mehr. Und nach drei Monaten bin ich angefangen, aufgrund der Tatsache, daß ich mich erneut an einen Therapeuten gewandt habe, wo ich mich vorher abgesichert hab, daß der sowas nicht macht, daß ich mich dort ganz langsam an dies Thema, an das Erlebnis, das ich mit dem Karl hatte, ganz langsam rangetraut habe.

Hat sich das für dich jetzt ein wenig aufgelöst und hast du begriffen, was da passiert ist?

-Ja, heute ist mir das klar. Also, ich hab in der Therapie, bei dem neuen Therapeuten, angefangen, das zu thematisieren. Hab gemerkt, wieviel Schwierigkeiten und Kampf es in mir bedeutet hat, das überhaupt auszusprechen, was dort passiert ist. Ich habe mir die ganze Zeit selber die Schuld in die Schuhe gesteckt: ich bin Schuld daran, daß es passiert ist. Davon konnte ich mich lange Zeit überhaupt nicht befreien. Immer wieder diese Schuldgefühle. Ich hab meinen Anteil daran, sicherlich, das weiß ich. Aber andererseits weiß ich auch: er hat nicht das Recht dazu, mich zu benutzen, sondern er muß als Therapeut in der Lage sein, seine Grenzen zu ziehen und die vor mir klar zu machen. Und er hätte dort klarer sein müssen. Er hätte diesen Schritt nicht tun dürfen. Und das weiß ich heute. Und deswegen kann ich auch sagen: ich hab meinen Anteil dran, gut, aber ich bin nicht Schuld daran, daß es passiert ist.

Gesprächsführung: Rosvitha Krausz