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Kein »bewaffneter Haufen«

■ Angeklagte von dem Vorwurf freigesprochen, beim Hitler-Geburtstag 1989 gegen einen seit 1871 geltenden Paragraphen verstoßen zu haben

Moabit. Aufgrund einer über hundert Jahre alten Gesetzesvorschrift, die selbst unter Juristen weitgehend unbekannt ist, wurde gestern sechs Männern und Frauen vor dem Moabiter Amtsgericht der Prozeß gemacht. Der Vorwurf: »Bildung eines bewaffneten Haufens« anläßlich des 100. Geburtstags von Adolf Hitler am 20. April 1989 nachts auf dem Kreuzberger Mariannenplatz. Der Prozeß endete mit Freispruch, weil den Angeklagten, die im weitesten Sinne der autonomen Kreuzberger Szene zuzurechnen sind, keine Schuld nachzuweisen war.

Zur Erinnerung: In der Nacht des 100. Hitler-Geburtstages herrschte in Kreuzberg und Neukölln nahezu eine Hysterie vor Skinhead- und Neonazi-Angriffen. Hunderte von Anhängern der sogenannten Antifas (Antifaschisten), darunter viele junge Türken, marschierten nachts mit Knüppeln, Gaswaffen und Sturmhauben durch die Straßen. Zu den erwarteten Auseinandersetzungen mit den »Faschos« kam es jedoch nicht, weil die sich nicht blicken ließen. Dennoch verwahrte sich das Antifa-Aktionsbündnis am nächsten Tag heftig gegen den Vorwurf, »Hysterie« geschürt zu haben, und feierte den Verlauf des 20. April als »vollen Erfolg«. Die Polizeibilanz der Nacht: über 100 Festnahmen, unter anderem wegen umgestürzter Bauwagen und eingeworfener Schaufenster sowie wegen unerlaubten Waffenbesitzes und eben der Bildung »bewaffneter Haufen«.

Nach Paragraph 127 Strafgesetzbuch, der seit seiner Einführung von 1871 bis heute unverändert geblieben ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, »wer unbefugter Weise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt oder eine Mannschaft, von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht«. Kurzum: Der Paragraph 127 ist ein sogenannter Bürgerwehr-Paragraph, der in Berlin bislang nur sehr selten angewendet wurde. Anders im Fall der sechs Frauen und Männer, die sich laut Anklage am 20. April 1989 in der Nähe des Wagendorfs an der damals noch vorhandenen Mauer mit Knüppeln bewaffnet und im Gebüsch ein Depot von Steinen und Molotowcocktails angelegt haben sollten, um gegen Skinheads und Neonazis gerüstet zu sein. Sie hatten zu dem Vorwurf geschwiegen und waren von den Polizeizeugen nicht wiedererkannt worden. Damit kam das Gericht auch um die Frage herum, ob die Anklage nach Paragraph 127 zu Recht erfolgt war. Der Staatsanwalt, der gleichfalls Freispruch geforderte, hoffte in seinem Plädoyer, daß am kommenden 20. April 1991 nicht schon wieder ein »Privatkrieg« geführt wird, zumal sich an diesem Tag »ganz bestimmt kein Fascho nach SO36 traut.« plu

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