: Begegnungen am Kai
■ „Transit Levantkade“ von Rosemarie Blank, ZDF, 22.55 Uhr
Die Levantkade ist ein Kai im nicht genutzten Bereich des Amsterdamer Hafens. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts war die Landungsbrücke eine Zwischenstation für Einwanderer aus Osteuropa auf ihrem Weg nach Amerika. Ende der achtziger Jahre bauten sich dort Leute mit alternativen Lebensvorstellungen ein eigenes Zuhause auf, das als abenteuerlich-multikulturelle Sehenswürdigkeit sogar von Touristenbussen angesteuert wurde.
Vor dieser Kulisse wollte Rosemarie Blank, Absolventin der Berliner Hochschule der Künste und seit 1978 beim Filmkollektiv Amsterdams, Stadtjournal, tätig, eigentlich einen Spielfilm mit einer Geschichte inszenieren. Bei den Dreharbeiten aber wurde der Film immer dokumentarischer, und in der fertigen Fassung gibt es nur noch einige wenige „dramatisierte“ Szenen. Es sind Begegnungen mit den Bewohnern des Kais — ein fahrradfahrender Bettler (Holland!), ein israelischer Tramper, eine Schönheit in Slum- Chic mit Pelz, eine Radioreporterin bei der Recherche über Verbrechen, die während der deutschen Besatzung auf der Levantkade passierten...
Manche der Porträtierten tauchen immer wieder auf, andere verschwinden nach kurzen Szenen und ein paar Worten darüber, wo sie gerade herkommen oder hinwollen. Dazwischen zeigt Rosemarie Blank Archivmaterial, das 1926 auf der Levantkade vom Gesundheitsamt Amsterdam aufgenommen worden war. Eine um Neutralität bemühte Kameraposition ließ die Passagiere damals einfach am Objektiv vorbeigehen und zeigt, wie sie vor der Einschiffung reihenweise entlaust und desinfiziert wurden. Über die Vertonung dieses alten Materials, aber mehr noch über eine stilistische Gemeinsamkeit der Fotografie funktioniert die Montage bemerkenswert unpädagogisch. Ausschnitte, Winkel und Entfernungen, die, formal gesehen, den historischen Aufnahmen einen „wissenschaftlichen“ Charakter verleihen sollten, wirken in den neuen Bildern wie eine gelungene Mischung aus Neugierde und Respekt für ein verwunschenes Industriegelände und seine Bewohner. Es ist der Blick einer Sympathisantin, der nie obszön und nur einmal — als Angelo, der Kiffer aus Verona, vorgestellt wird— etwas folkloristisch wird. Wenn kunstgewerbliche Fallen à la 'Geo‘-Magazin geschickt vermieden werden und die Dramaturgie sich nicht um die pointenorientierte Norm von zu schnell gedrehten Fernsehreportagen kümmert, so liegt das sicher auch an der Jahreszeit, in der dieser Film entstand. Der Herbst vor der polizeilichen Räumung der kleinen Kolonie war ungemütlich naß und bot für Schwarzweißaufnahmen ein ideales Licht. Wirklich hervorragend sehen in dieser Atmosphäre jene urban wirkenden Hunde aus, die sich wie alle modernen Filmstars irgendwie ruhelos und suchend zwischen leeren Lagerhallen und verfallenen Schuppen herumtreiben. Dorothee Wenner
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