: Dioxin in Nordenham
■ Anwohner strengen Klage gegen Behörden an
“Meine Tochter Martina hatte Haarausfall und bekam nur schwer Luft. Jetzt ist sie in Berlin und es geht ihr gut. Aber immer wenn sie hier ist, geht es von vorn los“, erzählt Renate Woge aus der Nordenhamer Ulmenstraße. Ihr kleiner Sohn hat dauernd Nasenbluten. Mit Atembeschwerden, Nasenbluten und Hautausschlägen kämpfen viele Kinder in der Ulmenstraße. Der Grund: Am Ende der Straße qualmte bis zum Frühjahr 1989 ein Ofen, in dem Kabel verbrannt wurden. Die Ummantelung der Kabel besteht aus PVC, bei dessen Verbrennung Dioxin frei wird.
Die rund sechzig Anrainer, die sich in der Interessengemeinschaft Ulmenstraße zusammengeschlossen haben, wollen jetzt, daß die Fabrik vom Erdboden verschwindet. Außerdem soll der Boden aus ihren Gärten abgetragen werden. Um dies zu erreichen sollen jetzt die Stadt Nordenham sowie das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg verklagt werden.
Beide sind nach Ansicht der Bewohner dafür verantwortlich, daß die Kabel-Dreckschleuder so lange in Betrieb war, die Behörden gaben die Genehmigung. „Die Anlage hat nie ordnungsgemäß gearbeitet“, schimpft Inge Wittje aus der Ulmenstraße, deren Eigenheim 20 Meter neben dem jetzt stillgelegten Kabelofen steht. „Trotzdem hat die Behörde nicht viel unternomen. Manchmal konnten wir nicht mehr rausgehen, weil wir kaum noch Luft bekamen und unsere Wäsche konnten wir dann auch nicht aufhängen.“
Seit Jahren kämpfen die Anwohner gegen die Firma Kalk, die bis heute auf dem Gelände Schrott verarbeitet. Das Oldenburger Gewerbeamt legte den Ofen schließlich still — aber nicht wegen der Dioxinbelastung. Nach einer Novellierung der TA-Luft waren die Emissionswerte des Ofens zu hoch — es lohnte sich nicht mehr, die veraltete Anlage zu renovieren.
Daß das Gelände mit Dioxin vergiftet ist, ist erst seit einer Untersuchung des Niedersächsischen Umweltministeriums bekannt, das letztes Jahr eine Reihenuntersuchung aller niedersächsischer Kabelöfen veranlaßte. Auf dem Gelände der Firma Kalk wurde die erste Stichprobe genommen und sofort wurde die Umweltbehörde fündig: Stichproben ergaben eine Dioxinkonzentration von etwa 21.000 Nanogramm auf dem Betriebsgelände.
Ob es am Dioxin liegt, ist, wie so oft, nur schwer herauszufinden. Ruß und Staub oder andere Stoffe, die bei der Verbrennung freigesetzt werden, können ebenso schädlich sein und die von den Anwohnern beklagten Gesundheitsschäden zur Folge haben. Im Gesundheitsamt Nordenham läuft derzeit eine Untersuchungsreihe, die diesem Zusammenhang auf die Spur kommen will — Ergebnisse gibt es bisher noch nicht.
Das Ordnungsamt Nordenham hat den Eltern in der Ulmenstraße inzwischen empfohlen, ihre kleinen Kinder nicht mehr im Garten spielen zu lassen — eine Empfehlung, die den Anwohnern angesichts der jahrelangen Untätigkeit der Behörden nur zynisch vorkommt.
Susanne Brahms
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