: Testfall Bio-Rad
■ Radfahren ist eine der ökologischsten Fortbewegungsarten. Das Gefährt selbst kann jedoch äußerst umweltfeindlich sein. Greenpeace testete die Umweltverträglichkeit von Fahrrädern - und kreierte schließlich das...
Radfahren ist eine der ökologischsten Fortbewegungsarten. Das Gefährt selbst kann jedoch äußerst umweltfeindlich sein. Greenpeace testete die Umweltverträglichkeit von Fahrrädern — und kreierte schließlich das Clean-Tech-Bike.
NORBERT MISCH-KUNERT prüfte Anspruch und Wirklichkeit.
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in „umweltfreundliches“ Fahrrad — ist das nicht eine ebensolche Tautologie wie der „weiße Schimmel“? Ist nicht jedes Fahrrad von vornherein umweltfreundlich, weil es die Ressourcen schont, keine Abgase und keinen Lärm produziert? Kann ein Rad überhaupt in irgendeiner Form der Umwelt Schäden zufügen? Klare Antwort: Ja, es kann. Selten nur im Betrieb — vorausgesetzt, sein Fahrer handelt verantwortungsbewußt —, häufig aber während seiner Produktion. Selbst die Experten der Umweltschutzorganisation Greenpeace fielen aus allen Wolken, als sie in einer Sendung des Schweizer Fernsehens zum ersten Mal einen Einblick in die umweltgefährdenden Herstellungsweisen der Zweirad-Industrie erhielten: Ein Recycling- Fachmann erläuterte dort im Rahmen einer Umweltreportage, welche Teile eines Fahrrades ökologisch unbedenklich und zur Aufbereitung im Recycling-Verfahren geeignet sind. Sein Fazit war vernichtend. Armin Friedrich, Mitarbeiter der Greenpeace-Zentrale in Hamburg: „Wir waren schockiert, in welchem Ausmaß die Produktion eines Fahrrads die Umwelt belasten kann. Greenpeace hat umgehend reagiert und eine Reihe von Experten beauftragt, die Umweltverträglichkeit des Rades zu analysieren.“ Das Ergebnis: Jedes Rad kann eine ganze Kette von Umweltsünden hinter sich herziehen, bevor es dann endlich im Bike- Shop zum Verkauf ansteht.
Es beginnt schon bei der Rahmenherstellung: Jeder Rahmen durchläuft nach dem Verbinden der Rohre mehrere Reinigungsstufen. Dabei werden mit chemischen Mitteln — meist sogar hochgiftigen Säuren — alle Rohre von Lötresten, Rost, Fett und sonstigen Verunreinigungen befreit. Anschließend wandert er auf die Lackierstraße des Rahmenwerks, wo ihm Farben, die bis zu 60 Prozent Lösungsmittel enthalten können, das poppig-bunte Aussehen verleihen. Diese Lösungsmittel belasten die Umwelt durch ihren Chlorgehalt bereits in sehr geringen Mengen. Darüber hinaus enthalten viele Farben auch noch die extrem giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei.
Vor allem im Rennrad-Bau kommt noch eine andere Variante der umweltschädlichen Rahmenverschönerung zum Zuge: das Verchromen. Ganze Rahmenhinterbauten, vor allem aber Gabeln und Kettenstreben erhalten so eine spiegelblanke, schlagresistente Oberflächenversiegelung. Auf der dunklen Seite des Chromglanzes stehen auch hier giftige Schwermetalle, die zu katastrophalen Gewässerverschmutzungen führen und allen betroffenen Tierarten im Handumdrehen den Garaus machen können.
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eben der Rahmenfertigung bereitet auch die Produktion der Fahrradkomponenten der Umwelt arges Kopfzerbrechen. Nahezu alle hochwertigen Fahrradteile werden heutzutage aus Aluminium hergestellt — des Gewichts, der leichten Verformbarkeit und des guten Images wegen. Die Gewinnung von Aluminium gehört wiederum zu den umweltschädlichsten Industrieprozessen, die die Neuzeit hervorgebracht hat: Die meisten Abbaugebiete von Bauxit, dem wichtigsten Aluminiumerz, liegen heute in Ländern des ökologisch extrem empfindlichen Regenwaldgürtels. Im Tagebau werden hier oft riesige Landflächen verwüstet und mangels finanzieller Mittel anschließend zerstört zurückgelassen.
Der Weg vom ausgebaggerten Bauxit bis zum hochreinen Hüttenaluminium für die industrielle Weiterverarbeitung ist ebenso lang wie energiezehrend: Vor allem die gigantischen Elektrolyseöfen, mit deren Hilfe die Aluminium-Tonerde zu Reinaluminium aufbereitet wird, benötigen unvorstellbare Mengen an elektrischer Energie. Pro Kilo Aluminium sind es bis zu 19 Kilowattstunden Strom — vornehmlich aus Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden — ohne die effektive, aber teure Rauchgasentschwefelung. Nebenbei verbrauchen Aluminiumhütten auch Unmengen des kostbaren Rohstoffs Wasser. Ein großes Problem stellt Aluminium auch in der Müllverbrennung dar: Anders als Stahl, der in der Hitze schmilzt und sich am Boden des Ofens ablagert, brennt das Leichtmetall völlig ab — unter Entwicklung gesundheitsschädlicher Gase.
Viele Einzelkomponenten schaden der Umwelt darüber hinaus noch auf andere Weise: Sie lassen sich nicht wiederverwerten. Reine Kunststoff- oder reine Stahlteile können meist ohne große Probleme im Recyclingverfahren weiterverarbeitet werden — ressourcenschonend und müllvermeidend. Viele Komponentenhersteller überziehen ihre Metallteile aber — aus optischen und preislichen Gründen — mit einer Kunststoffschicht. Es gibt keine Möglichkeit, beide Materialien voneinander zu trennen. Die Folge: Sie lassen sich nicht recyceln und wandern auf den Müll.
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in Versuch der eidgenössischen Greenpeace-Filiale, nach der Auswertung der Experten- Analyse exemplarisch ein Fahrrad von höchstmöglicher Umweltverträglichkeit zusammenzustellen, ist nach langen Versuchen letztlich gescheitert: Das Öko-Bike par excellence ist ein Prototyp geblieben. Armin Friedrich: „Das Teil war extrem teuer. Niemand hätte es in dieser Version gekauft.“ Erst als sich die deutsche Fachhändler-Einkaufsgemeinschaft Veloring mit Greenpeace in Verbindung setzte, kam das Projekt „Clean-Tech-Fahrrad“ in eine konkrete Phase. Veloring und Greenpeace klärten in Zusammenarbeit mit der Zweiradindustrie, welche Anforderungen an die Umweltverträglichkeit ein Fahrrad des Jahrgangs 1990 realistischerweise erfüllen kann, zu welchem Preis es für interessierte Verbraucher noch erschwinglich ist.
Lothar Traphöner, Prokurist des Velorings, erinnert sich: „Die Verhandlungen mit Greenpeace waren recht schwierig. Dort wollte man auf jeden Fall unter 2.000 Mark bleiben. Innerhalb dieses Rahmens kann man aber zunächst nur einen Anfang machen, und das aktuelle Greenpeace-Modell ist wohl auch erst ein kleiner Schritt. Immerhin ist es aber ein Schritt in die richtige Richtung.“
Wichtigster Vorteil des Öko-Bikes: Der Rahmen des Tourenflitzers besteht aus hochwertigem Stahl, der tauchlackiert und pulverbeschichtet wird. Dabei fallen weder giftige Lösungsmittel noch Abfallstoffe an. Der Rahmen ist außen wie innen korrosionsgeschützt und somit sehr langlebig. Die Pulverbeschichtung des Rahmens ist darüber hinaus deutlich weniger empfindlich als herkömmlicher Lack.
Bei der Zusammenstellung der Komponenten haben alle Mitarbeiter des Greenpeace-Projektes auf Langlebigkeit und Stabilität geachtet: die Schutzbleche, alle Befestigungsschrauben und der Sattelklemmbolzen sind aus Edelstahl. Kein einziges Teil ist verchromt. Soweit wie möglich haben die Bike-Bauer bei Greenpeace auf Aluminiumteile verzichtet. Kunststoffteile fehlen fast völlig — bis auf die gesetzlich vorgeschriebenen Leuchten und Reflektoren. Der Kunststoff-Scheinwerfer ist allerdings auch „clean“: Er besteht aus recyceltem ABS — als einziger auf dem Markt.
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iele Detaillösungen am ersten Greenpeace-Rad sind jedoch leider im ökologischen Ansatz steckengeblieben und haben allenfalls symbolischen Charakter. Bis auf die wirklich rundum gelungene umweltfreundliche Rahmenbeschichtung hat sich am Greenpeace-Rad gegenüber herkömmlichen Qualitätsrädern dieser Preisklasse noch nicht allzu viel verbessert. Zieht man die Greenpeace-Forderung nach kurzen Verkehrswegen in Betracht, sind viele Komponenten an diesem Rad für überzeugte Umweltfreunde ein Schlag ins Gesicht. Nahezu jedes wichtige Teil des Clean-Tech-Renners kommt aus Fernost: Rahmen, Gabel, Sattelstütze, Vorbau, Lenker, Reifen, Naben, Pedale, Tretlager, Zahnkränze, Ritzelpaket, Schaltung und Bremsen haben auf ihrem Weg zum deutschen Verbraucher eine Reise um den halben Erdball zurückgelegt. Alles in allem ist das Clean-Tech-Fahrrad von Greenpeace jedoch ein guter Anfang. Für weitere Fortschritte auf dem Gebiet des Umweltschutzes kann jeder Bike-Käufer aber auch selbst sorgen: durch gezielte Auswahl ökologisch unbedenklicher Komponenten und Zubehörteile und durch den Kauf eines hochwertigen und langlebigen Zweiradflitzers. Wer zehn Jahre und länger mit einem einzigen Fahrrad auskommt, schont die Umwelt am meisten.
Abdruck aus der Zeitschrift 'bike‘, Heft 3/91.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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