: Am Eisblock gefesselt oder von Ratten zernagt
Für die Opposition in Birma hat das Putschistenregime seine eigenen „Regierungsmethoden“ entwickelt/ Demokratisch gewählte Vertreter und ethnische Minderheiten werden mundtot gemacht/ Während das Militär die Naturressourcen schröpft, blüht unter der verarmten Bevölkerung der Opiumhandel ■ Von Martin Smith
Mitten in einer Birma-Kampagne befindet sich derzeit amnesty international, und die UNO-Menschenrechtskommission hat vor wenigen Wochen einen Bericht über die Lage in Birma vorgelegt. Es gibt Anlaß genug: Nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Sommer '88 hält sich das Militärregime in Rangoon durch systematische Verfolgungen und Menschenrechstverletzungen an der Macht.
Das einst zu den wohlhabendsten Staaten Asiens zählende Birma gehört heute zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Nach dem Putsch 1988 wurde jedoch die offizielle Entwicklungshilfe gestrichen. Mehr denn je investieren heute internationale Firmen — vor allem die großen Ölkonzerne — in Birma, obwohl dessen Regierung von der eigenen Bevölkerung nicht anerkannt wird, wie sich bei den Wahlen 1989 gezeigt hat. Bei diesen Wahlen gewann die Opposition über 80 Prozent der Stimmen. Doch die Junta weigert sich bis heute, die Macht abzugeben. Die Opposition wurde verhaftet, unter Hausarrest gestellt, ist geflohen oder wurde umgebracht. Wie nun soll die internationale Gemeinschaft auf diese Situation reagieren — mit einem internationalen Boykott oder, wie andere raten, im Gegenteil mit mehr Investitionen und Hilfe?
Die Junta versucht, der finanziellen Krise durch den skrupellosen Ausverkauf der birmesischen Bodenschätze Herr zu werden. Schon jetzt zeichnen sich katastrophale Folgen für die Umwelt ab. In den letzten beiden Jahren wurde der tropische Regenwald in Südostbirma vernichtet, der Fischbestand der Andaman- See vollends abgefischt. Mit wachsender Armut des Landes vergrößert sich die Opiumproduktion im Nordosten. 1990 schätzte die US-amerikanische Drug Enforcement Agency die Opiumproduktion Birmas auf über 2.000 Tonnen — die doppelte Menge von 1988. Dies macht Birma neben Pakistan zum weltgrößten Heroinproduzenten.
Mit dem Opiumhandel aufs engste verbunden ist der jahrzehntelange Bürgerkrieg und der Eskalation ethnischer Konflikte. In Birma existiert heute eine größere Zahl bewaffneter Rebellengruppen als in irgend einem anderen Land der Welt. Als Folge des Krieges auf dem Lande und der politischen Unterdrückung in den Städten wächst die Zahl der Flüchtlinge, was für die Nachbarn des Landes immer größere Probleme schafft. Besonders schlimm ist die Lage birmesischer Frauen und junger Mädchen der Bergstämme: Immer mehr werden über die Grenze nach Thailand in die Prostitution und Halbsklaverei gelockt.
Seit der Erhebung von 1988 sind die Universitäten geschlossen. Eine ganze Generation, die für die Demokratie demonstrierte, hat ihr Recht auf Ausbildung verloren. Viele wurden ermordet, andere sitzen heute in den Teehäusern Birmas unter ständiger Oberservation.
e2. Weltkrieg polarisierte Birmas Gesellschaft
Birma wird nicht ohne Grund das „ethnologische Paradies“ genannt: Es gibt hier — neben den Birmesen — über hundert verschiedene ethnische Volksgruppen, Sprachen und Dialekte. Diese Vielfalt trägt zu den Spannungen und Konflikten bei. Obwohl Birma heute ein isoliertes Land ist, darf man nicht vergessen, daß es über 60 Jahre lang britische Kolonie war, und daß sich während dieser Zeit die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen zuspitzten. Dann kam das Trauma des Zweiten Weltkrieges. Heute wird oft übersehen, daß Birma zum Hauptschauplatz des Krieges wurde, als die Armeen vierer Weltmächte — Großbritannien, Japan, USA und China — auf birmesischem Boden kämpften. Während die Führer der birmesischen Freiheitsbewegung auf Seiten der japanischen Armee fochten, blieben die meisten der Minderheiten den Briten treu. In einigen Gebieten wird der Krieg bis heute weitergeführt, und während die Generäle der birmesischen Armee ihre Ausbildung von den Japanern erhielten, diente fast die ganze Führungsspitze des Volkes der Karen (Karen National Union) in der britischen Armee.
Tragischerweise brachte auch die Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht die Lösung dieser Probleme. Die Kommunistische Partei Birmas ging 1948 in den Untergrund. Das taten in den folgenden Jahren auch eine ganze Reihe ethnischer Gruppen — zum Beispiel die Arakanese, die Chins, die Karennis. Schließlich, im März 1962, als sich die Rebellion der Kachin und der Shan gegen die Zentralmacht in ihren jeweiligen Bundesstaaten auszubreiten begann, putschte General Ne Win und brachte damit die kurze Ära des Parlamentarismus zu einem Ende.
So begann Ne Win den seltsamen „Weg zum birmesischen Sozialismus“, dessen Ideologie aus einer Mixtur von Buddhismus, Marxismus und nationalistischen Prinzipien besteht. Seine Dogmen indessen konnten den eigentlich militärischen Charakter der Regierung Ne Wins nie überdecken. Jedwede politische und ethnische Opposition wurde brutal unterdrückt. Nachdem der General die lose föderale Struktur der Verfassung von 1947 aufgab, begann er mit der Durchsetzung seiner Doppelstrategie: Auf dem Lande startete er eine totale Counter-Insurgency- Kampagne (Aufstandsbekämpfung) während er in Rangoon ein zentralisiertes Einheitsparteienregime installierte. Auf allen Ebenen der Regierung herrschten Militärs.
Trotz der zentralen Militärgewalt existierten 1988, zum Zeitpunkt des demokratischen Aufruhrs, über 20 bewaffnete und aktive Oppositionsgruppen in weiten Gebieten der Minderheiten. Nach dem Militärputsch, der die demokratische Bewegung niederschlug, suchten dann Tausende der oppositionellen Studenten Schutz bei der Karen National Union und anderen Gruppen ethnischer Minderheiten in den Bergen. Dort gründeten sie die „Democratic Alliance of Burma“, die jüngste in der Reihe der Zusammenschlüsse des Widerstands. Auf diese Weise setzt sich in Birma der „Cycle of Insurgency“ fort.
Der Einfluß, den dieser interne Krieg auf die Psyche des modernen Birma — und vor allem auf die birmesische Armee — genommen hat, darf nicht unterschätzt werden. Meiner Schätzung nach sterben pro Jahr mindestens 10.000 Menschen an den Folgen des Krieges — vor allem in den Minderheitsgebieten der Wa, Kachin und Karen. In diesem Land, das von ausländischen Mächten nicht bedroht ist, werden 40Prozent des Budgets für Militärausgaben verwendet. Diese Politik hatte dazu beigetragen, das Land 1987 an den Rand des Bankrotts zu treiben — ein Auslöser für die Demokratiebewegung.
Die dramatische Situation der Menschenrechte in Birma ist eine direkte Konsequenz des Bürgerkrieges. Er hat bei der Militärregierung in Rangoon eine Art Belagerungsmentalität hervorgerufen, gleichzeitig die Macht der Armee legalisiert und die Soldaten brutalisiert. Die Weltöffentlichkeit war schockiert von den Bildern des Jahres 1988, die zeigten, wie Soldaten mit aufgesetzten Bajonetten durch die Menschenmengen schritten; wie sie gleichgültig auf unbewaffnete Demonstranten zielten und einen nach dem anderen erschossen. Doch die Bauern aus den Minderheitengebieten berichteten schon lange zuvor, wie die Soldaten von ihren Waffen freien Gebrauch machen. Ne Win sagte 1988 ganz offen: „Wenn die Armee schießt, dann schießt sie, um zu treffen.“
Nach ihrer auf den Schlachtfeldern erlernten Taktik beseitigt die Armee immer sofort alle Verletzten und Toten. Bis heute gibt es noch keinen wahren Bericht über die Ereignisse des Jahres 1988. Bis heute weiß keiner, wie viele Menschen damals erschossen oder verhaftet wurden, und wie viele geflüchtet sind. Nur Augenzeugen können direkte Beweise bringen für die Verhaftungen, Folterungen und Erschießungen. Schätzungen sprechen von 10.000 Toten als Opfer der politischen Gewalt des Jahres 1988. Die Regierung hat zum Beispiel behauptet, daß es in der nordbirmesischen Stadt Sagaing nur 31 Tote gegeben hätte, mehrere Zeugen berichteten jedoch, daß dort allein am 9. August 327 Menschen erschossen wurden.
Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die brutale militärische Aufstandsbekämpfung, die Counter Insurgency. Sie ist allgemein bekannt als die „Vierschnittkampagne“ und ähnelt der „strategic hamlet“-Kampagne (strategische Dörfer), welche die Amerikaner in Vietnam anwandten. Sicherlich gehen auch die Oppositionstruppen in diesem Krieg nicht ohne Greueltaten vor. Doch ist bekannt — und das wird auch Privatgesprächen von ehemaligen hohen Armeeoffizieren bestätigt, daß alle Minderheiten als potentielle Rebellen gelten. Im Kern geht es bei der „Vierschnittkampagne“ darum, die Unterstützung der Rebellen durch die Zivilbevölkerung — in Form von Lebensmittellieferungen, Geldern, Spionage oder Bereitstellung von Rekruten — durch permanenten Druck zu unterbinden, bis hin zur Umsiedlung ganzer Dörfer aus den Bergen in die Ebenen, wo unter militärischer Kontrolle neue Lager entstehen. Die alten Dörfer und Felder in den Bergen werden zerstört, die Gebiete zur „freien Schießzone“ erklärt.
Träger für das Militär als menschlicher Minenschutz
Zivilisten werden von der Armee zwangsweise als Träger an der Front eingesetzt. Männer werden verhaftet, ohne daß man ihre Familien benachrichtigt, gerade wie sie aus dem Kino kommen oder wenn sie im Bus unterwegs sind. Es kommt oft vor, daß auch schwangere Frauen und Dorfälteste dabei mitgenommen werden. Wer zu fliehen versucht, wird erschossen. Eine besonders grausame, aber gut dokumentierte Praxis besteht darin, Träger den Truppen voranzuschicken — als eine Art menschlicher Minenschutz.
Außerdem spielt der Geheimdienst MIS eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg. Unter Leitung von Generalmajor Khin Nyunt, dem wahren Kopf des des Juntarates SLORC, führt er treu die Befehle seines Herrn Ne Win aus. Selbst hohe Armeeoffiziere sagen in Gesprächen unter vier Augen, daß sie in ständiger Angst vor den Agenten des Geheimdienstes leben. In ihrem letzten Bericht identifizierte amnesty international sechs verschiedenen Geheimdienstorganisationen, die von der MIS-Agentenzentrale aus koodiniert werden, und 19 Verhörzentren, die nachweislich Folter einsetzen. Diese Liste ist jedoch nicht komplett, viele Armee- Einheiten machen ebenfalls regelmäßig von der Folter Gebrauch. Ihre Anwendung ist nicht wahllos oder zufällig. Sie ist systematisch und von unvorstellbarer Brutalität, wie Berichte zeigen, nach denen die Gefangenen mit dem Kopf nach unten nackt auf Eisblöcke gefesselt werden und mit Messern geschnitten werden. Oder wie einem zum Tode Verurteilten eine umgedrehte Schüssel mit einer Ratte darunter auf den Bauch gebunden wird, und die Ratte sich schließlich durch den Körper nagt. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international haben die Methoden und das Ausmaß dieser Brutalität, die eindeutig auf die physische und psychische Vernichtung der Gefangenen abzielen, dokumentiert.
Eine ganz wichtige Motivation der Armee ist die Angst vor der Rache der Bevölkerung, wie einst in Chile, Argentinien und Rumänien. Die Armeeführungsspitze hat sich immer mehr zu einer isolierten und selbstherrlichen Macht im Staat entwickelt. Es ist durchaus möglich, daß die Obristen ihre Macht letztlich wieder hergeben müssen. Wenn es aber nicht möglich ist, das Land durch eine friedliche Entwicklung aus dieser Situation herauszuführen, so warnen viele Birmesen, kann es in der Zukunft zu Zusammenstößen kommen, die den demokratischen Aufstand von 1988 wie ein Picknick erscheinen lassen.
Gekürzte Fassung eines Vortrags auf einer Birma-Konferenz der Ev. Akademie Hofgeismar, 22.März 1991.
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