: Kunst mit Stempel
■ »Expressionistische Grüße« — Künstlerpostkarten der »Brücke« und des »Blauen Reiters«
Einen »Zinnobergruß« versandte Franz Marc im April 1913 an »Herrn Wass. Kandinsky, Kunstmaler München«. Die im Postkartenstandard von 14*9 cm gegebene Kombination von kurzer Mitteilung und bildlicher Darstellung ist nur eines der 173 zusammengetragenen Beispiele unikater Künstlerpostkarten, die derzeit in einer Ausstellung im Brücke-Museum zu sehen sind. Ausgangspunkt des Vorhabens war die umfangreiche Postkartensammlung zur Künstlergemeinschaft »Brücke«, über die das Museum selbst verfügt. Für die unmittelbare Präsentation wurden darüberhinaus Kartengrüße der im süddeutschen Raum ansässigen Mitglieder des »Blauen Reiters« zusammengetragen.
Der Katalog benennt, daß die Einführung der sogenannten »Correspondenzpostkarte« in Deutschland länger als in den anderen österreichischen Kronländern auf sich warten ließ. Ab 1. Juli 1870 durfte sie dann auch im Bereich des Norddeutschen Bundes, Bayerns, Württembergs und Badens verschickt werden. Dabei war allerdings noch nicht an die uns bekannte Bildpostkarte zu denken. Erst zur Pariser Weltausstellung 1889 wurde diese neben dem Eiffelturm zur zweiten Attraktion. Vereinigungen von Postkartensammlern gründeten sich allerorten und bis hin zum Ersten Weltkrieg wollte diese Leidenschaft nicht abreißen. Neben den touristischen Klischees eroberten mehr und mehr auch künstlerische Gestaltungen die Vorderseite der Postkarte, doch erst nachdem 1905 zusätzlich die halbe Adressenseite für Mitteilungen freigegeben wurde.
Für die Künstler bot die Annahme von Entwurfsverträgen zu maschinell gefertigten »Kunstkarten« eine akzeptable Einnahmequelle. Die in einer Auflagenhöhe von 300 bis 1.000 Stück hergestellten Kunstkarten gelten als Vorläufer der hier gezeigten unikaten, von Hand gearbeiteten Künstlerpostkarten, die zunächst vor allem durch die Expressionisten als Verständigungsmittel genutzt wurden.
Die Künstler der Brücke entdeckten diese Form der Kommunikation für sich sehr früh. Die meisten erhaltenen Beispiele entstanden zwischen 1909 und 1911. In und um München, im Kreis des Blauen Reiters, korrespondierte man zunächst noch in herkömmlicher Briefform. Doch ab 1912/13 wurden auch hier verstärkt Künstlerpostkarten versandt, was sich vielleicht aus dem von nun an engeren Kontakt zwischen Franz Marc und den Brücke-Leuten erklären ließe.
Letztgenannte produzierten ihre Karten meist nach Bedarf, die Künstler in Süddeutschland hingegen legten sich sogar einen Vorrat an. Bei Marc und auch bei Heinrich Campendonk zeigen die Karten überwiegend Tiere; die tierische Kreatur in Beziehung zur Landschaft oder zum Menschen, eine lichtdurchflutete Szenerie, die in Transparenz und leuchtender Farbigkeit an gotische Kathedralfenster erinnert. Die Künstlerkarten des Blauen Reiters nehmen kaum Bezug auf unmittelbar Erfahrenes, wohingegen die Brücke- Künstler per Karte in erster Linie optische Eindrücke in bildlicher Darstellung, ergänzt durch kurze Ideenskizzen, übermitteln. Hierbei sannen sie nicht etwa theoretischen Problemen nach, sondern gaben ihren Adressaten, zumeist Freunden, Sammlern, Kunsthistorikern oder LebensgefährtInnen, wohl eher ein Lebenszeichen, benannten Banalitäten zur unmittelbaren Situation oder beschrieben gelegentlich auch angedachte Arbeitsvorhaben. So fanden sie einen Ausdruck, dem Empfänger das Erinnern und kurze Denken an ihn in Abwesenheit zu bekunden.
»Da wir alle nicht gerade eifrige Briefschreiber waren«, sagte Karl Schmidt-Rottluff dazu, »dienten die Karten als kurze Mitteilungen über unsere Arbeit (...), und so sind die meisten Karten Skizzen von Bildern oder Beobachtungen«. Gerade bei Ernst Ludwig Kirchner waren sie oft Vorarbeiten zu Lithographien, zu Holzschnitten oder zu Gemälden. Seine gültigsten Entwürfe adressierte er an Erich Heckel, der für Kirchner innerhalb der Gruppe zur wichtigsten Bezugsperson wurde. Aquarellfarbe, Feder und Tusche sowie farbige Kreiden zählten bei allen zu den beliebtesten Ausdrucksmitteln, nur selten griff man zur Radiernadel oder zum Holzschnittmesser.
Mit Ausnahme von Schmidt-Rottluff, der sich in seiner kargen Kantigkeit zumeist der Landschaft zuwandte, findet man bei Heckel, Kirchner und Max Pechstein vor allem in ihrer Berliner Zeit vorwiegend Atelierszenen, Akte und Porträts oder die häufigen Einblicke in Cafés und Varietés, in Theater, Ballsäle oder Restaurants, wobei sie ihren Spaß an der Unüberschaubarkeit und Frivolität dieser Genußmaschinerie in keinem Moment verhehlen. Die Motive reichen vom Damenringkampf über die nobelsten Kokotten, tanzende Paare und Trinker bis hin zu Zirkusakrobaten. Parallel zum Erwähnten entstanden wohl — vor allem während der Aufenthalte an den Moritzburger Seen — die keineswegs nur für Otto Mueller typischen Bade- und Strandszenen.
Die oft eilig anmutenden Bildnotate auf den Karten sind in den meisten Fällen mehr als eine kurze Studie. Gelegentlich erscheinen Bildform und -komposition gegenüber den großformatigen Bildern und Zeichnungen sogar konzentrierter. Und gerade aus dieser offensichtlichen Beziehung zwischen den bekannten Gemälden und Graphiken und den vielleicht mehr »nebenbei entstandenen« Bildfindungen auf den Karten ergibt sich beim Betrachten des immer gleichen 9*14 cm großen Gevierts eine angenehme Spannung. Liane Burkhardt
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. April im Brücke-Museum in Dahlem zu sehen (Öffnungszeiten: täglich 11 bis 17 Uhr, außer dienstags) und wird im Anschluß in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München sowie im Saarlandmuseum Saarbrücken gezeigt.
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