: Karies und Klassenkampf
■ Warum der Unabhängige Film in England so erquicklich gedeiht / „Landmarks“: Ein Filmpaket zur Anschauung und Debatte in Bremen
Noch zwei Tage lang können wir uns Bilder davon machen, wie frisch die britische Workshop- Bewegung (s. Kasten linkerhand) immerzu ans Filmen geht. Das hiesige Filmbüro zeigt, zusammen mit dem Kommunalkino, einen erlesenen Packen Anschauungsstoff.
Zum Beispiel den Film Byker (53 min., s. Foto), gedreht von Amber Films, einem Kollektiv, das seit '68, und ausgestattet mit eigenem Kino, das Leben der Arbeiterklasse dokumentiert. Byker ist ein alter Arbeiterstadtteil von Newcastle. Wir sehen eine junge zugezogene Finnin durch Byker stochern und staksen und allerhand schönen lauen Wind machen (heute um 15.30 Uhr in der Angestelltenkammer).
Am Abend ist, im Rahmen einer öffentlichen Gesprächsrunde (heute um 19 Uhr, ebf. Angestelltenkammer), eine wunderbar montierte Dokumentation zu sehen: nämlich North (37 min.), gefertigt von Trade Films. Da dürfen wir, im muntersten wortlosen Bilder-Haspeln, den schweren Ernst selber entdecken: den industriellen Niedergang des englischen Nordens.
Beständig eilt er dahin, der Film, oftmals zeitgerafft. Wolken huschen, Wasser wogt, und Ameisen-Verkehr flirrt durch die Straßen, Pleuelstangen tauchen auf und nieder, nichts als Kraft überall und Bewegung, in allen erdenklichen Koppelungen, auch des Filmschnitts. Fast kommt, vor lauter Vorwärtsdrang und Raffen, ein wenig Beklemmung auf (die Schnellschaltung im Film ist deshalb so komisch, weil sie zugleich als Todesmetapher einleuchtet). Und siehe, schon fressen sich in den kerngesunden Biß des Films kariöse Löcher: da krümmen sich, in Zeitlupe, die Hände von Börsenbrokern und machen Zeichen. Wir aber sehen, immer hineingeschnitten, wie Riesenschlote und ganze Fabrik
Aus „Byker“: Unter der Byker-Bridge haben sich die Kinder des Viertels aus Sperrmüll ein Wohnzimmer gebautFoto: NDR
hallen in sich zusammencrashen. Der ganze Film ist ein munteres Spiel von (auch formalen) Kreuz- und Querverbindungen: Dieses Strebengerüst verträgt den frischen klassenkämpferischen Wind, der hindurchpfeift, ohne auch nur zu knarzen.
Nach dem Film ist Debatte
hierhin bitte das
Foto mit den vielen
Schmuddel-Kindern
dran. Aufgeboten sind: Kraft Wetzel (Filmjournalist), Mick Catmull (Filmer aus England), Thomas Mitscherlich (Bremer Institut Film/Fernsehen) und noch ein paar Leute von Film und Fernsehen. Thema: Ist die Workshop- Idee nicht auch eine Rückenwindmaschine für unsere Gegenden?
Den lieben Samstag lang werden, gelegentlich eines parallelen Seminars, im Lagerhaus noch zahlreiche weitere Filme gezeigt, u.a. Give us a Smile (13 min.), was die Trickfilm-Tour einer Karottenschöpfin durch unentrinnbare männerverfertigte Frauenbilderwelten ist und vom Leeds Anima
tion Workshop stammt, einer starken feministischen Gruppe. Auch dies, neben eigenen Schwarzen- Workshops, eine Eigentümlichkeit des britischen Independent- Films. schak
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen