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Warum Japan Kommunisten braucht

Bei den Gouverneurs- und Präfekturwahlen in Japan gewannen die regierenden Liberaldemokraten mehr, die Sozialisten weniger Mandate als je zuvor/ Tokios Chef bleibt — wie erwartet — im Amt  ■ Aus Tokio Georg Blume

Ganz Japan wählte am Sonntag. Dreizehn Gouverneure und annähernd 2.700 Präfektursabgeordnete waren vom Volk neu zu ernennen — zweifellos der wichtigste japanische Urnengang neben den Parlamentswahlen. Doch als am Montagabend alle Stimmzettel ausgezählt sind, kommt Nippons führende Tageszeitung 'Asahi Shinbun‘ zu einem merkwürdigen Ergebnis: „Welch ein niedriges Niveau bei dieser Wahl! Es scheint, als könne dem Wähler das Wahlrecht geraubt werden. Nur die kommunistische Partei hat diese Wahlen gerettet.“ Wenn ein liberal- konservatives Blatt die Kommunisten zum Retter der Demokratie erklärt — was waren das für Wahlen?

Seit das japanische Parteiensystem in seiner heutigen Form besteht — mit den Liberaldemokraten als Regierungs- und den Sozialisten als führender Oppositionspartei — waren die Wahlergebnisse nie so klar wie am Sonntag: Die Liberaldemokraten gewannen in der nahezu landesweiten Wahl zu den Präfekturparlamenten mehr Sitze als je zuvor, die Sozialisten weniger denn je. Unter den dreizehn neu gewählten Gouverneuren konnten nur drei gegen die Stimmen der Regierungpartei reüssieren; darunter die spektakuläre Ausnahme in Tokio, wo der 80jährige Amtsinhaber Shunichi Suzuki diesmal gegen die Liberaldemokraten kandidierte und trotzdem haushoch mit annähernd 50 Prozent der Stimmen gewann. Das aber kann nicht über jene Grundströmung der japanischen Politik hinwegtäuschen, die die Wahlen vom Sonntag anzeigen: Noch nie war Nippons 45 Jahre alte Demokratie so sehr dem Diktat eines geschlossenen Quasi-Einparteiensystem erlegen wie heute. Denn für annähernd 600 der 2.700 Präfektursmandate stand nur noch ein Kandidat zur Wahl. Darüber hinaus konkurrierte in vielen Wahlkreisen nur noch ein Kommunist gegen den gemeinsamen Kandidaten aller anderen Parteien. Unter den dreizehn erfolgreichen Gouverneurskandidaten traten diesmal gleich sechs mit der gemeinsamen Unterstützung von Liberaldemokraten und Sozialisten an. Weshalb eben 'Asahi‘ die Kommunisten der Demokratie wegen preist.

Freilich kümmert all das die Mächtigen in Tokio wenig. Ihre Sorgen galten gestern dem jüngsten und frechsten Sprößling der Liberaldemokraten, dem 48 Jahre jungen Generalsekretär Ichiro Ozawa, der aufgrund der Niederlage in Tokio zurücktrat. Doch der tritt nur für eine kurze Verschnaufpause hinter die Kulissen. Schon im Herbst wird die Regierungspartei turnusgemäß einen neuen Premier ernennen — als solcher, oder als Finanz- oder Außenminister könnte Ozawa dann wieder auferstehen. Denn auch das steht im Wahlergebnis vom Sonntag: Ohne weitere Rücksicht auf den Wählerwillen und mit immer weniger Blick auf eine kompromittierte Oppositionspartei können die Liberaldemokraten nunmehr ihr kleinkariertes Personalkarussel drehen.

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