: Bush regt „Schutzzone“ im Nordirak an
■ USA und Türkei für stärkere Rolle der UNO im Irak/ US-Außenminister Baker besucht türkisch-irakische Grenze/ Über die Hälfte der irakischen Kurden auf der Flucht/ PUK-Vertreter für Einrichtung von Pufferzonen im Nordirak
Washington/Ankara/Berlin (dpa/ afp/taz) — Wohin mit den Flüchtlingen aus Irakisch-Kurdistan? Dies dürfte eines der Themen gewesen sein, die US-Außenminister James Baker zum Auftakt seiner neuerlichen Nahost-Tour mit dem türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal in Ankara besprochen hat, ehe er gestern ins türkisch-irakische Grenzgebiet flog.
Die USA wollen allem Anschein nach über den UN-Sicherheitsrat auf den Irak einwirken, seine Grenzen für Hilfsmaßnahmen zugunsten der kurdischen Flüchtlinge zu öffnen und ein Schutzgebiet einzurichten. US-Präsident Bush kündigte am Sonntag Konsultationen an, „um zu sehen, ob die UNO erneut ihre friedensbewahrende Rolle ausweiten kann“, um den Flüchtlingen zu helfen. Mitarbeiter der US-Administration sprachen auch von der Möglichkeit, daß UN-Friedenstruppen Pufferzonen im Nord- und Südirak bilden könnten. Mitarbeiter der US- Administration hatten bereits erklärt, UN-Truppen könnten bei einem amerikanischen Abzug aus dem Irak an die Stelle der US-Soldaten im Süden des Landes treten, wo sich schätzungsweise 40.000 Flüchtlinge aufhalten. Bush betonte jedoch, die UNO könne keine Polizeimission übernehmen. Er verwahrte sich auch gegen die Kritik, die USA hätten die Kurden erst zum Aufstand gegen Saddam Hussein aufgerufen und dann im Stich gelassen. Er habe den Aufständischen niemals militärische Hilfe versprochen. Daher seien die Rebellen von den USA nicht getäuscht worden, folgerte Bush.
Zuvor hatte Özal in einem Interview mit der US-Fernsehgesellschaft ABC gefordert, mit Hilfe einer multinationalen UN-Truppe im Nordirak ein Schutzgebiet für die Kurden zu schaffen. Özal bot an, türkische Truppen könnten unter die Hoheit der UNO gestellt werden. Er forderte ein Eingreifen auf irakischem Boden, um der notleidenden Zivilbevölkerung zu Hilfe zu kommen. Hintergrund dieser Äußerungen ist, daß die türkische Regierung vermeiden möchte, daß nun erneut Hunderttausende von Flüchtlingen auf ihr eigenes Territorium gelangen und versorgt werden müssen.
In kurdischen Exilkreisen wurde der Vorschlag, Schutzzonen im Irak einzurichten, in ersten Reaktionen positiv beurteilt. Die Kurden hätten kein Interesse daran, daß die Bevölkerung das Land verließe oder in Europa oder anderen Ländern aufgenommen werde, sagte ein Vertreter der Patriotischen Union Kurdistans gegenüber der taz.
Die Lage entlang der türkisch-irakischen Grenze war gestern unklar. Baker erklärte im fernen Ankara, die Türkei habe ihre Grenze zum Irak nicht geschlossen und ließe die von der irakischen Armee verfolgten Flüchtlinge weiterhin auf ihr Territorium. „Jedermann muß feststellen, daß die türkisch-irakische Grenze offen ist“, sagte Baker nach seinem Gespräch mit Özal. Nach Angaben einer Mitarbeiterin von medico international wird dagegen an der Grenze immer noch geschossen; doch hätten die türkischen Soldaten mittlerweile gemerkt, daß sie die Flüchtlinge nicht aufhalten können. In Isikveren bei Uldere (Osttürkei) seien bereits 100.000 Menschen über die Grenze gelangt; laut Özal halten sich jetzt insgesamt 300.000 Flüchtlinge im Land auf. Dabei war zunächst nicht klar, ob es sich bei dieser Zahl ausschließlich um jetzt geflohene Menschen handelt.
Unterdessen hielt auch gestern die Fluchtbewegung aus dem Irak an. Nach Angaben des Teheraner Innenministeriums überquerten bis Sonntag nachmittag 698.537 Iraker die Grenze zum Iran. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei es unmöglich, die Hunderttausenden von Menschen aufzunehmen, die noch vor der Grenze stünden. Die iranische Führung rechnet mit insgesamt anderthalb Millionen Flüchtlingen. Die Zahl der Flüchtlinge an der türkisch- irakischen Grenze wird auf 600.000 geschätzt. Diesen Angaben zufolge wären rund zweieinhalb Millionen Menschen und damit etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung im Nordirak auf der Flucht. B. S.
Medico International bittet unter dem Stichwort „Kurdistan“ um Spenden zur Unterstützung der aus Irakisch-Kurdistan flüchtenden Menschen auf das Konto: Postgiro 6999-508 Köln/Frankfurter Sparkasse 1800 (BLZ 500 501 02)
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