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55 Lux Lichtstärke

Zur Ausstellung der Handzeichnungen Albrecht Dürers in Düsseldorf  ■ Von Stefan Koldehoff

Wie kostbar der Schatz ist, den das Berliner Kupferstichkabinett zum überwiegenden Teil seit 150 Jahren hütet, zeigt eine Anfrage, die das Museum in jüngster Zeit aus Washington erhielt: Ob man wenigstens einige wenige Dürer-Zeichnungen für eine Ausstellung im Herbst ausleihen könne, wollte ein dort ansässiges Museum wissen. Gerade einmal fünf Blättern erlaubte Direktor Dr. Heinz Mielke den Flug über den Atlantik — sorgsam verpackt in hochsensible Klimakisten und aus Sicherheitsgründen auf zwei verschiedene Flugzeuge verteilt. „Unsere Dürer- Zeichnungen sind ein Stück Deutschland, ein Stück deutsche Identität“, begründete Mielke seine restriktive Ausleihpolitik. Der Verlust auch nur einer einzigen der rund 120 Handzeichnungen aus Berliner Besitz käme deshalb einer nationalen Katastrophe gleich, der Schaden wäre unermeßlich.

Trotzdem ist zur Zeit eine Auswahl der kostbaren Originale im Kunstmuseum Düsseldorf zu sehen. Genau fünfzig Dürer-Handzeichnungen aus den Jahren 1485 bis 1526 sind hier noch bis zum 5. Mai in der Ausstellung Meisterzeichnungen versammelt. Die ebenso generöse wie außergewöhnliche Leihgabe für eine der wohl letzten Präsentationen dieses Ausmaßes außerhalb Berlins verdankt die nordrhein-westfälische Hauptstadt den Finanzzuwendungen, mit denen das Land die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ mittrug und -trägt. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen angesetzt, entsprechend penibel werden die konservatorisch notwendigen Maßgaben eingehalten: Allenfalls 55 Lux Lichtstärke werden den fragilen und hochgradig lichtempfindlichen Blättern zugemutet.

Dürers Kunst, die sich in den überwiegend monochromen Zeichnungen noch unmittelbarer präsentiert als in seinen nur etwa 125 erhaltenen und als authentisch anerkannten Gemälden, markiert den Übergang von der Spätgotik zur Renaissance in Deutschland. Thematisch noch deutlich in der christlichen Tradition des Mittelalters verwurzelt, wendet sich auch der junge, 1471 in Nürnberg geborene Albrecht Dürer in der Manier seiner Lehrer und Vorbilder Michael Wolgemut und Martin Schongauer zunächst biblischen Themen zu. Dürers Werk findet vor allem durch die von ihm bevorzugt genutzte Technik des Holzschnittes weite Verbreitung, der 1498 veröffentlichte Zyklus Die Apokalypse machte den inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus renommierten Künstler innerhalb kürzester Zeit in ganz Deutschland berühmt.

Wie revolutionär der Wandel war, der sich in Dürers Kunstauffassung mit Ende des 15. Jahrhunderts zeigt, verdeutlichen vielleicht am besten die Landschaftsaquarelle, unter ihnen das auch in Düsseldorf ausgestellte Tal bei Kalchreuth. Impressionistisch in Bildauffassung und bruchloser Verbindung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund und in der Farb- und Formenwahl einem Paul Cézanne oder Edouard Manet viel näher als Dürers streng durchkomponiert malenden Zeitgenossen, setzt sich Dürer unbewußt aber deutlich von seinem künstlerischen Umfeld ab und tastet sich vorsichtig an seine neuen Sujets heran.

Der Mensch und seine Umwelt werden fortan bis zum Tod im Jahre 1528 Dürers Thema. Porträts seiner Humanistenfreunde, Gewandstudien und vor allem die immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit dem Thema der Melancholie folgen. Den traurig-nachdenklichen Gemütszustand begreift Dürer als erster Maler und Grafiker, anders als seine Kollegen im Mittelalter, nicht mehr als Ausdruck einer kranken, sondern als den einer menschlichen Seele, der er Würde verleiht.

Seine anatomischen Studien treibt er dabei manchmal bis zum Exzeß. Ein beidseitig bemaltes Blatt zeigt in Düsseldorf, wie Dürer zunächst mit Winkelmaß, Lineal und Zirkel Millimeter für Millimeter den idealen weiblichen Körper konstruiert, um ihn anschließend auf der Rückseite für einen Frauenakt durchzupausen. So fällt das Ergebnis auch aus: Die Frau hat die erotische Ausstrahlung einer Architekturzeichnung.

Welchen Einflüssen Albrecht Dürer unterlag, in welchem Kunstklima sich bald der gesamte mitteleuropäische Kontinent befand, dokumentieren 75 Zeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte aus eigener Sammlung, die das Düsseldorfer Kunstmuseum den Dürer-Zeichnungen beigegeben hat. Von den Niederlanden und Lucas van Leyden über Deutschland mit Lucas Cranach und Hans Baldung-Grien spannt sich der Bilderbogen bis in die norditalienische Renaissance-Hauptstadt Urbino, wo Dürer nachweislich Zeichnungen mit Raffael tauschte.

Der Katalog zur Ausstellung enthält neben drucktechnisch hochwertigen Farbabbildungen aller Dürer- Zeichnungen vor allem einen hervorragenden Aufsatz über sein Leben und Werk des profundesten deutschen Dürer-Kenners, Dr. Heinz Mielke. Das Buch kostet im Museum 28,— DM.

Albrecht Dürer: Meisterzeichnungen. Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof. Noch bis 5. Mai. Katalog: 130 Seiten, 50 Farb- und zahlreiche Schwarzweißabbildungen, 28,— DM

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