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Stasi-Akten in Griffweite der Geheimdienste

Bonn plant den weitgehenden Zugriff der Geheimdienste auf Stasi-Akten/ Bündnis 90: „Inakzeptabel“/ Kritik auch aus Sachsen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Der jetzt in Bonn bekanntgewordene, neu überarbeitete Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zum Umgang mit den Stasi-Unterlagen geht weit über das von den Nachrichtendiensten geforderte Einsichts- und Auskunftsrecht hinaus. Dort, wo Verfassungschützer wie der Hamburger Behördenleiter Christian Lochte eine Akteneinsicht in „amtsinterne“ Unterlagen der Stasi durchsetzen wollen, ist in Schäubles Entwurf nicht nur eine Herausgabe von Unterlagen an die Nachrichtenbehörden vorgesehen — im Zuge der Aufklärung und Vorbeugung von Straftaten sollen auch die Daten der „Betroffenen“ den Strafverfolgungsbehörden zugänglich gemacht werden. Der 45 Paragraphen fassende Entwurf für ein Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) trägt deutlich die Handschrift derer, die in den Tagen nach dem Anschlag auf den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder einen weitreichenden Zugriff der Geheimdienste auf die Hinterlassenschaften des Staatssicherheitsdienstes forderten. Unterlagen, die keine personengebundenen Angaben über Betroffene enthalten, sollen danach „zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit“, zur „Aufklärung sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten“ ebenso ausgewertet werden können wie zur Bekämpfung extremistischer oder „politisch bestimmter Bestrebungen, die darauf ausgerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendungen vorzubereiten“. Ein besonderer Streitpunkt bei dem heutigen Treffen mit Parteienvertretern im Hause Schäuble dürfte die vorgesehene Erlaubnis sein, auch personenbezogene Daten der Stasi auswerten zu können. Ein Zugriff auf diese rechtswidrig erlangten Unterlagen war wiederholt von Datenschützern über BürgerrechtlerInnen bis hin zu den in der ÖTV organisierten Richtern und Staatsanwälten als unzulässig ausgeschlossen worden. Nach dem Schäuble-Entwurf sollen sie nun zur Verfolgung von solchen Straftaten herangezogen werden, die in den gesetzlichen Bestimmungen zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs und anderen Rechtsvorschriften enthalten sind. Dies könnte sich dann von Staatsschutzdelikten über Spionagefälle bis zu Geld- oder Wertpapierfälschungen erstrecken. Gegen den Willen der Behörde des Sonderbeauftragten der Bundesregierung sollen Teile der Akten aus den Archiven der Stasi-Nachlaßverwalter ausgesondert und dem jeweiligen Nachrichtendienst ausgehändigt werden. Dies gilt etwa für Unterlagen:

— „die zum Eigenschutz der Nachrichtenländer des Bundes und der Länder oder ihres Personals erforderlich sind“,

— über „operative Maßnahmen“ westdeutscher Nachrichtendienste,

— die als Verschlußsache eingestuft sind und zu deren Sicherung die Bundesregierung aufgrund völkerrechtlicher oder bilateraler Verträge verpflichtet ist,

— und für alle als „VS-vertraulich“ und höher eingestuften geheimen Verschlußsachen der Bundesbehörden.

Aus den 170 Kilometern Stasi- Hinterlassenschaft sollen auch die Akten entsorgt werden, die die Stasi in rund sechs Millionen Dossiers über die BürgerInnen der alten Bundesrepublik und DDR — darunter auch kompromittierende Stasi-Berichte über die Bonner Spitzen aus Wirtschaft und Politik — angehäuft hat. Unterlagen, die „auf Abhören oder gegen den Willen des Betroffenen beruhen“, heißt es in Pragraph 17 des Entwurfes, „dürfen nur mit der Einwilligung des Betroffenen verwendet werden. Sie sind mit Ablauf des Jahres ... zu vernichten.“ Ein konkretes Datum ist in dem Entwurf noch nicht angeführt.

Die Bonner Fraktion von Bündnis90/Grüne nannte gestern die vorgeschlagenen Regelungen „inakzeptabel“. Der Entwurf beschreibe einen „breiten Zugriff von Behörden auf das Stasi-Material“ und widerspreche der Forderung nach einer umfassenden öffentlichen Aufarbeitung. Während insbesondere der Polizei personenbezogene Daten Betroffener zugänglich gemacht werden, sei das Akteneinsichtsrecht für Betroffene immer noch nicht gesichert. Heftige Kritik am Vorgehen des Innenministeriums kam auch aus dem Süden der Republik. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) monierte, daß die Länder im Osten bisher noch nicht einmal über die Beratungen für den Gesetzentwurf informiert wurden, obwohl sie nachdrücklich darum gebeten hatten. „Unerträglich“ sei darüber hinaus, daß etwa 150 frühere Stasi-Mitarbeiter, darunter auch hohe Offiziere, im Auftrag des Bonner Innenministers mit Verträgen bis Januar 1992 vom Bundesverwaltungsamt in den ehemaligen Bezirkshauptstädten beschäftigt wurden.

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