: Wessi freut sich über Ostberliner Instandbesetzer
■ Bausenator Nagel zieht Bilanz des 25-Millionen-Instandsetzungsprogrammes/ Erstes fertig renoviertes Haus in Prenzlauer Berg vorgestellt/ Westbesitzer mit der Nutzung seines Hauses zufrieden/ Ungeklärte Eigentumsverhältnisse blockieren raschen Fortschritt bei anderen Sanierungsprojekten
Prenzlauer Berg. »Als Herr Steinhardt auf einmal so aus dem Nichts auf dem Hinterhof stand, brach für mich eine Welt zusammen«, sagt Frank Windel mit einem schüchternen Blick auf den älteren Herrn, der zwei Plätze weiter neben Bausenator Wolfgang Nagel sitzt und lacht. Frank Windel ist einer von denen, die im Januar 1990 das heruntergekommene kleine Hinterhaus in der Schönhauser Allee 26 in Prenzlauer Berg besetzten und instandzusetzen begannen — und dann im Juli 1990 den privaten Eigentümer Peter Steinhardt aus Westdeutschland auftauchen sahen. Doch Peter Steinhardt erwies sich als das Gegenteil des profithungrigen Wessis, er fand es »prima, daß die jungen Leute so viel Initiative gezeigt haben«. So konnten die Selbsthelfer in der Remise, für deren Sanierung sie einen Monat zuvor 135.000 Mark Fördergelder aus dem Topf des 25-Millionen-Programms von Bausenator Nagel bekommen hatten, eine Werkstatt für Holzspielzeug einrichten. Und so kann der Senator, umrahmt von Eigentümer und ehemaligem Besetzer, eine erste positive Bilanz seines Notprogramms vorlegen.
Das 25-Millionen-Programm war vor gut einem Jahr gestartet worden. Nagel hatte damals gesagt, daß 500 Baugerüste mehr sagen würden als drei Lippenbekenntnisse. Fünfhundert Gerüste wurden es nicht, doch insgesamt 47 Objekte wurden in das Förderprogramm aufgenommen, in dem vor allem schon früher aktiven Selbsthilfegruppen Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden sollte.
Die Bilanz ist eher mager: Von den 47 Häusern sind erst sieben tatsächlich fertig saniert, weitere zwölf sollen bald fertig sein. Für sechs Projekte allerdings, die schon im Bau waren, liegen mittlerweile Anträge auf Rückerstattung von früheren Eigentümern vor — und solange die Besitzansprüche ungeklärt sind, darf nicht weiter saniert werden. Viele Eigentümer modernisieren lieber auf eigene Kosten, um die Wohnungen dann teuer zu vermieten.
Betroffen ist unter anderem der Verein »Projekte am Kollwitzplatz«, bei dem vor zwei Tagen ein Schreiben des Rechtsanwaltes der zwei potentiellen Eigentümer eintraf. 70.000 Mark sind bereits in die Sanierung des »Stadtteilladens« am Kollwitzplatz im Herzen des Prenzlbergs geflossen, ungeachtet der Eigenleistung der Vereinsmitglieder, die etwa ein Drittel der Baukosten umfaßt. Nun heißt es, die Verhandlungen über einen Nutzungsvertrag mit den zukünftigen Eigentümern würden nicht vor Mai beginnen. »Die Wohnungsbaugesellschaften starren auf die Eigentümer wie das Kaninchen auf die Schlange«, schimpft Holger Schaffranke, einer der Vereinsmitglieder.
In der Tat machen die vermögensrechtlichen Bestimmungen im Einigungsvertrag oft eine schnelle Stadterneuerung unter Mitsprache der Betroffenen unmöglich. Die Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften, die die meisten Wohnungen verwalten, können nur noch eine Art »Notbewirtschaftung« machen. Das im März beschlossene »Enthemmungsgesetz« müsse so weit wie möglich im Sinne der schnellen und behutsamen Sanierung ausgelegt werden, fordern die, die auf Eigeninitiative statt auf zentrale »Lösung« durch einzelne Großinvestoren setzen.
Enthemmt sind auch noch nicht die Probleme der restlichen 22 Projekte des Nagel-Programmes. In elf Fällen ist die gesamte Bauplanung fertig, mit der Ausführung kann aber wegen der ungeklärten Vermögensverhälnisse nicht begonnen werden, etwa im Falle des geplanten Frauenhauses Lichtenberg. In weiteren elf Fällen sind die Eigentümer zwar bekannt, müssen aber erst ihre Zustimmung zu den Sanierungen geben. Das kann sehr kompliziert sein: Mal muß ein unter dem NS-Regime enteigneter hochbetagter Eigentümer aus Argentinien eingeflogen werden, mal im Falle einer zwölfköpfigen Erbengemeinschaft das Placet jedes einzelnen eingeholt werden.
Senator Nagel lobt denn auch das entgegenkommende Verhalten des Eigentümers des Hauses an der Schönhauser Allee 26. Der Möbelfabrikant aus Baden-Württemberg hat mit den Instandbesetzern einen Nutzungsvertrag für 15 Jahre zu sehr günstigen Konditionen für die Mitarbeiter der Holzwerkstatt ausgemacht. Für Nagel liegt das Positive seines Programmes im Lernerfolg. »Wir haben alle Schwierigkeiten kennengelernt.« Das Gesamtbauvolumen seines Programms ist in der Zwischenzeit auf fast 60 Millionen Mark angewachsen, von denen ein Teil aus dem damaligen DDR-Magistratshaushalt stammt. Für zukünftige Sanierungen hat er 750 Millionen Mark allein für den Ostteil der Stadt angemeldet, »eine Wunschsumme«. Auch wenn noch viel getan werden muß, so ist Matthias Klipp, Baustadtrat des Bezirks, zuversichtlich. Der Leerstand sei schon vermindert worden. Auf die Frage, ob er verzweifelt sei, meint er: »Wer zu Verzweiflung neigt, sollte nicht Baustadtrat im Prenzlauer Berg werden.« Karen Pfundt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen