: "Zum Wohle des armen Volkes"-betr.: Kommentare zu den Montagsdemos
betr.: Kommentare zu den Montagsdemos
Bezugnehmend auf die verschiedenen Interpretationen zu den Montagsdemos muß eine realistische Darstellung — resultierend aus Erlebnissen und persönlichen Gesprächen vor Ort — erfolgen.
Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Cottbus und Ost-Berlin treiben uns die Machenschaften der (Un-)Treuhand und anderer, nur am Profit orientierter Wessis, die Schamröte ins Gesicht. Mit einer unfaßbaren, unmenschlichen Arroganz wird der totale Ausverkauf der ehemaligen DDR betrieben. Ohne die Menschen auch nur nach ihrer Meinung zu fragen, geschweige denn mitbestimmen zu lassen, wird das Volkseigentum, Grund und Boden, zu Schleuderpreisen verschachert.
Dies geschieht natürlich nur zum Wohle des armen Volkes. Die 40 Jahre lang betrogenen Menschen müssen doch endlich begreifen, daß diese neue, kapitalistische Entmündigung zu aller Vorteil notwendig ist. Sie sollen doch froh sein, daß nun ein anderer Wind weht, der das alte, „marode“ Gefüge aus den Angeln hebt. Ganz gleich, ob es dabei um das sozial gerechtere Netz, um das hervorragend funktionierende Recycling-System „Sero“ oder um Arbeitsplätze geht. Besonders wohlwollend werden dabei Frauen bedacht, die nun wieder ganz in den Schoß der Familie zurückkehren dürfen, wo sie hingehören und wo sie sich ganz ihrer vorgesehenen Rolle widmen können, unentgeldlich und ehrenamtlich, versteht sich, weil dies ein wichtiges Standbein für „Vater“ Staat ist.
Ein weiteres wichtiges Argument ist das Überstülpen der westlichen, umweltschädlichen, weil verschwenderischen Marktwirtschaft. Damit werden dann alle Nöte und Sorgen begraben, denn schließlich wird jetzt ein Großteil der früher arbeitenden Bevölkerung für das Nichtstun bezahlt. Die Menschen sind aber auch nie zufriedenzustellen! Letztendlich haben wir Wessis mit unserer umwerfenden Marktwirtschaft doch den Krieg gegen die östliche Planwirtschaft gewonnen. Als Besatzungsmacht verhalten wir uns doch noch ziemlich human, denn schließlich ist es unser gutes Recht, auch die letzten Bastionen und noch gut arbeitenden Firmen in die Knie zu zwingen, indem wir ihre Produktion auf verantwortbare 40 Prozent zurückfahren. Wer damit nicht einverstanden ist, aus welchen Gründen auch immer, wird eben ganz aus der LieferantInnenliste gestrichen, ob es sich dabei um landwirtschaftliche Produkte, sonstige Lebensmittel- und Spirituosenbereiche oder gar um den Bausektor handelt. Wir haben die verantwortungsvolle Macht und bestimmen auch entsprechend, weil wir zudem allein über die weltweit „bestqualifizierten Kräfte“ verfügen.
Als Beispiel sei hier nur die Bauplanungsgesellschaft „Arcus“ erwähnt, die zur Zeit noch schwarze Zahlen schreibt, also noch recht gut funktioniert. Das wird sich jedoch bald ändern, denn mit Hilfe der Treuhand werden auch in diesem Betrieb die Weichen auf westliche Marktwirtschaft umgestellt.
Wohlan denn, Ihr Schwestern und Brüder, faßt endlich Mut und genießt Eure kostbare, gerade erst gewonnene Freiheit in vollen Zügen! Marlies Krämer, Sulzbach, Dolly Hüther, Saarbrücken
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