»Schüler fit machen für Europa«

■ Schulsenator Klemann (CDU) stellte gestern die neue Schulstruktur für Ost-Berlin vor/ Ab 1. August Übernahme des Westberliner Schulsystems

Berlin. Die neue Schulstruktur und Schulorganisation in den elf östlichen Bezirken der Stadt ist beschlossene Sache und wurde gestern vom obersten Dienstherrn, dem Schulsenator Jürgen Kleemann (CDU), der versammelten Presse in die Feder diktiert. Mit dem Beginn des kommenden Schuljahrs am 1. August wird es in Ost-Berlin keine Polytechnischen Oberschulen (POS) — Einheitsschule bis zur 10. Klasse — mehr geben. Auch die bisherige erweiterte Oberschule (EOS) läuft zum selben Tag aus. In Gesamt-Berlin gilt dann das Westberliner Schulsystem von Grundschule, Sonderschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule.

Ab kommenden Montag bis zum 30. April müssen sich die Eltern der Ostberliner Bezirke entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind schicken wollen und es in dieser Zeit dort anmelden. Für die Grundschule gilt das Prinzip der wohnortnächsten Schule, für die weiterführenden Schulen besteht das Prinzip der Wahlfreiheit. Kleemann machte jedoch keinen Hehl daraus, daß es ihm lieber wäre, wenn die Kinder dort, wo sie wohnen, also in Ost-Berlin, zur Schule gehen, damit kein »Bildungstourismus« entsteht.

Die von der Schulverwaltung beschlossene Schulorganisation stieß bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) gestern auf heftige Kritik. »Indem die bisherige Westberliner Schulstruktur einfach auf Ost-Berlin übertragen wurde«, so GEW-Vorstandsmitglied Ilse Schaad, »wurde eine Chance vertan, neue Wege in der Bildungspolitik zu gehen«.

Die Entscheidung für die Vielgliedrigkeit sei eine Entscheidung für die Hauptschule, »die als problembeladene Restschule bildungspolitisch überholt« sei. Weitaus besser wäre es Ilse Schaad zufolge gewesen, die Entwicklung der Gesamtschule zu fördern, zumal es weitaus mehr Anträge auf die Einrichtung eines solchen Schultypus gab, als von Kleemann bewilligt wurde.

Der CDU-Schulsenator, der das Gesamtberliner Modell gestern in der Aula der Dr.-Theodor-Neumann-Oberschule in Prenzlauer Berg vorstellte, frohlockte hingegen darüber, wie »gut« es sei, daß die Schulverwaltung »all denen nicht gefolgt« sei, die fortwährend ein »Hinausschieben« der Schulreform gefordert hätten. Kleemann verwies in diesem Zusammenhang auf eine entsprechende große Anfrage der PDS im Abgeordnetenhaus. »Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren«, so der Schulsenator, »daß mit Anträgen wie diesem die alte Einheitsschule unter anderem Markenzeichen über die Runden gerettet werden sollte.«

Statt dessen gilt nun das Credo des Schulsenators: »Die jungen Leute fit machen für Europa« und »die Attraktivität des Schulwesens muß Hauptstadtqualität haben«. Zur Übernahme der rund 14.000 Lehrer im Ostteil der Stadt sagte Kleemann, daß es »keine Kündigungswelle« geben werde. Es seien aber mit Sicherheit »einige hundert zuviel an Bord«. Für Lehrer, die zum Beispiel Stasimitarbeiter waren oder »repressiv arbeiteten«, gebe es keine Verwendung in der Schule. Es werde aber jeder Einzelfall geprüft, erklärte Kleemann mit Hinweis auf die Fragebogenaktion. Lehrer, die während der SED-Zeit an ihrer Tätigkeit gehindert wurden, sollen Kleemann zufolge auf jeden Fall eine Chance zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit bekommen. Die Entscheidung zur Rehabilitation wurde von der GEW ausdrücklich begrüßt. Gegen die Fragebogenaktion hatte die Gewerkschaft schon früher Bedenken geäußert. Plutonia Plarre