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Schändung eines Nationalheiligtums-betr.: "Rezepte aus der Kochstraße" (Thüringer Klöße", taz vom 6.4.91

betr.: „Rezepte aus der Kochstraße“ (Thüringer Klöße),

taz vom 6.4.91

Beim Studieren der Rezepte aus der Kochstraße vom 6.4.91 mußte ich mit Erschrecken feststellen, daß es in den Medien starke Kräfte gibt, welche eine Konfrontation zwischen den Berlinern und der Thüringer Bevölkerungsgruppe forcieren wollen. Das sogenannte Rezept der Thüringer Klöße muß als Schändung eines Nationalheiligtums angesehen werden. Nicht nur, daß viele Norddeutsche uns Thüringer als Sachsen bezeichnen, andere Westdeutsche unter Thüringern ausschließlich Bratwürste vermuten, nun noch dieses Grießkloßrezept.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie dieses Rezept bei Euch eingeschleust wurde. Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei der Verfasserin mit dem Pseudonym „Claudia“ um eine Stasi-Offizierin im besonderen Einsatz, welche durch diese heimtückische Attacke auf die Thüringer Klöße zur Balkanisierung Deutschlands beitragen will.

Es könnte sich aber auch um einen Anschlag einer arroganten Altbundesbürgerin handeln, welche durch diese Verfälschung der Klöße Thüringer Machart, uns Thüringern die letzten Identitätsmerkmale rauben will. Nachdem die Altenburger ihre Skatkarten nicht mehr Altenburger Spielkarten nennen dürfen, wäre dies ein weiterer tiefer Schlag, der eine noch tiefere Identitätskrise der Ostdeutschen zur Folge hätte. Egal ob es sich bei der Verfasserin um eine Stasioffizierin im besonderen Einsatz oder eine arrogante Altbundesbürgerin handelt, fordere ich die gleiche Strafe, nämlich sich ein Jahr ausschließlich von Berliner Klopsen oder Frikadellen zu ernähren.

In diesem Sinne Guten Appetit Uwe Marr, Erfurt

Lieber Uwe, wie konnte mir das passieren; hab' ich denn ganz und gar meine Kinderstube vergessen? Wir sind doch Gleichgesinnte! Als Oberschwäbin, nicht zu verwechseln mit den Unterschwaben, kann ich Dich wirklich gut verstehen: wir aus dem Süden werden auch immer diskriminiert. Fremde bezeichnen uns als Bayern, schlimmer noch, als Badenser, die geliebten Spätzle gar als „Nudeln“, und das ist genauso unverzeihlich. Nehmen wir z.B. unsere „Dampfnudeln“ — im Prinzip auch eine Art „Knödel“ —, die wird ein Reing'schmeckter nie lernen, denn sie werden von jeder Hausfrau anders zubereitet. Wie Du vielleicht weißt, muß der/die KöchIn in die Fremde gehen, um zu lernen: NeuchÛtel, Paris, London..., um nur ein paar Stationen zu nennen. Erfurt war damals leider noch nicht möglich. Deshalb: Laß uns am besten das „wahre“ Thüringer-Klöße-Rezept zukommen. Und noch etwas, bitte, verlang' nie wieder von einer Schwäbin, Frikadellen zu essen, mir händ nähmlich blooß „Fleischkiachla“. Claudia

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