Für die Frauen zerbrechen Bezüge

Studie: Die Frauen in der Ex-DDR waren stark beruflich orientiert/ Überproportional viele arbeitslos  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Knapp über 55 Prozent der Arbeitslosen in der ehemaligen DDR sind Frauen. Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind Frauen dagegen dort mit nur 38,5 Prozent stark unterrepräsentiert. Dieses Mißverhältnis gibt der Bundesministerin für Familie und Jugend, Angela Merkel, „Anlaß zur Sorge“. Bei ihrem Besuch in der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit forderte sie „Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei klagte die Ministerin insbesondere die Koalitionsvereinbarungen und die Vorgaben des Programms „Aufschwung Ost“ ein. Dort wurde die Berücksichtigung von Frauen an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entsprechend ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit gefordert.

Merkel stellte klar, daß mit einer Erwerbsquote von über 80 Prozent und einem hohen Qualifizierungsgrad die Erwerbstätigkeit für Frauen in den neuen Bundesländern „ein unverzichtbares Element“ deren Lebensplanung sei. Deswegen treffe die Arbeitslosigkeit die Frauen in der Ex-DDR „besonders hart“. Die Ministerin untermauerte ihre Feststellung mit den Ergebnissen einer von ihrem Ministerium in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften (Infas). Die im Oktober und November letzten Jahres durchgeführte Studie zum Thema „Frauen in den neuen Bundesländern im Prozeß der deutschen Einigung“ kommt zu dem Ergebnis, daß die „ausgeprägte Berufsorientierung der Frauen in der ehemaligen DDR eine neue Dimension bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ aufwerfe.

Aus der Erhebung bei über 1.400 Frauen zwischen 16 und 60 Jahren geht hervor, daß sich Lebensplanung und -werte von Frauen in Ost und West stark unterscheiden. Im Gegensatz zur Ex-DDR werde im Westen die eindeutige Zuweisung der Bereiche — Familie für die Frau, Beruf für den Mann — eher akzeptiert. Deshalb könne in den alten Bundesländern bei den Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch implizit davon ausgegangen werden, daß vor allem die (Ehe-)Frau die psychischen und sozialen Folgen auffangen müßte. Dies funktioniere, wenn „die betroffene Frau sich entweder in der Lebensplanung für die Hausfrauenrolle entscheide oder aber — sollte sie selbst arbeitslos sein — die Alternativrolle im Haushalt angenommen“ hat. Beide Varianten könnten jedoch für die Frauen im Osten „keine Alternative“ sein. Auf diesem Hintergrund erwartet Infas ein „erhebliches Konfliktpotential sowohl bei den betroffenen Frauen selber als auch auf der Ebene ihres sozialen Zusammenhangs, insbesondere in der Familie, mit dem Partner und den Kindern“. Im Hinblick auf den Einigungsprozeß ziehen die befragten Frauen überwiegend eine „nüchterne und ernüchternde Schlußbilanz“.

Bundesministerin Merkel sieht jetzt insbesondere in dem Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost“ eine „große Chance für Frauen“. Dort kämen nicht nur die Förderung industrieller Produktion, sondern auch die Bereiche Landwirtschaft, Garten- und Landschaftsbau zum Zuge. Merkel mahnte an, daß bei allen Maßnahmen Frauen nicht allein auf den Bereich „soziale Dienste“ beschränkt werden sollten. Die Ministerin will über die Beteiligung der Frauenbeauftragten in den sogenannten „kommunalen Aufbaustäben“ verstärkt „regional sinnvolle Projekte für Frauen auch für Teilzeitarbeit“ auf den Weg bringen.

Damit Frauen nicht „zu den Verlierern des Strukturwandels“ würden, appellierte Heinrich Franke, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, an Betriebe und Verwaltungen, als Arbeitgeber flexibel auf die Bedürfnisse von Frauen einzugehen. Dies gelte nicht nur für die rund 340.000 alleinerziehenden Frauen, sondern auch für die mit Familienpflichten. Um die Situation von Frauen mit Kindern nicht zusätzlich zu verschlechtern, forderte Ministerin Merkel die arbeitslosen Frauen auf, ihre Kinder zumindest vormittags in die vorhandenen Kindergärten zu schicken. Da viele Plätze derzeit ungenutzt bleiben, drohe den Einrichtungen ansonsten die Schließung wegen fehlenden Bedarfs.