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Die Toronto-Connection

■ Junges anglo-kanadisches Kino in ZDF und 3sat

Auf der Berlinale vor vier Jahren galt Atom Egoyans Film Family Viewing (Familienbilder) als echter Geheimtip. Erzählt wurde die Geschichte des 18jährigen Van, der ein ziemlich trostloses Familienleben führt. Sein Vater braucht zur sexuellen Stimulation telefonische Handlungsanweisungen, die er mit seiner Freundin vor laufender Videokamera inszeniert. Die Großmuttter dämmert in einem Altersheim vor sich hin. Bei seinem Versuch, die alte Frau aus dem Seniorenknast zu befreien, lernt Van die jungen Aline kennen. Sie verdient sich ihr Geld mit Telefonsex. Mit der ästhetisch geschickt montierten Mixtur aus Videobildern und „echtem“ Filmmaterial gelang dem 28jährigen kanadischen Regisseur ein eindrucksvolle Dramaturgie, die trotz der hochmoralischen Grundaussage erfrischend locker blieb. Dem Thema der emotionalen Verkrüppelung im elektronischne High-Tech-Zeitalter blieb Egoyan auch in seinen zwei weiteren Filmen treu, die das ZDF jetzt im Rahmen einer anglo-kanadischen Spielfilmreihe zeigt.

Während im eigenen Land die Übermacht des amerikanischen Kinos erdrückend ist — 90 Prozent der in Kanada gezeigten Kinofilme kommen aus der USA — findet gerade die jüngere Generation kreativer kanadischer FilmemacherInnen auf internationalen Festivals immer größere Beachtung. Sie arbeiten abseits vom kommerziellen Filmbetrieb in den traditionellen Filmzentren Toronto oder Vancouver, aber auch in Städten ohne nennenswerte Filmtradition wie Winnipeg, Regina und Halifax. In seinem Filmforum Fremde im eigenen Land, mit der die Reihe heute um 22.30 Uhr eröffnet wird, stellt Redakteur Alexander Bohr die jungen RegisseurInnen des englisch- sprachigen Teils Kanadas vor. Trotz aller stilistischer und thematischer Verschiedenheit ihrer Filme ist ihnen eins gemeinsam: Sie sind allesamt Einwanderer in der ersten oder zweiten Generation und auf der Suche nach eigener kultureller Identität. Egoyan ist Armenier und wurde in Kairo geboren. Seine Kollegin Patricia Rozema ist höllandischer Abstammung. Für ihren ersten Spielfilm I've Heard the Mermaid Singing (Der Gesang der Meerjungfrau) erhielt die 1988 in Cannes den „Prix de la Jeunesse“. Das moderne Cindarella-Märchen wurde schon 1989 im ZDF ausgestrahlt und ist jetzt in einer ergänzenden Reihe noch einmal auf 3sat zu sehen (9.5.).

Ein weiterer Höhepunkt der Kanada-Reihe ist neben Egoyans Filmen (Familienbilder, heute um 22.30 Uhr, ZDF; Traumrollen, 15.5.ZDF; Die nächsten Angehörigen, 17.5., 3sat) das psychedelische Roadmovie Tod auf dem Highway (5.5., ZDF) von Bruce McDonald. Der 31jährige Newcomer hat vorher als Regieassistent bei dem kanadischen Hollywood-Regisseur Norman Jewison gearbeitet und als Cutter Egoyans Filmen den dynamischen Schnitt verpaßt. über Guy Maddins expressionistisches Melodram Archangel, das ebenfalls im 3sat-Programm zu sehen ist (3.5.), sagte ein Kritiker: „So hätte der Film aussehen können, den Erich von Stohheim nach seinem Rausschmiß aus Hollywood gedreht hätte.“

Für diesen Herbst plant die ZDF- Redaktion bereits eine zweite Kanada-Reihe. Unter dem Titel „Cinema Canada 2“ soll dann die französischsprachigen Spielfilme des zweitgrößten Lands der Erde vorgestellt werden. Ute Thon

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