: Aversionen gegen den Sender Freies Berlin
Pläne zum Nordostdeutschen Rundfunk vorerst gekippt/ Schweriner Landtag votierte gegen den eigenen Ministerpräsidenten und den SFB/ Mecklenburger Parlamentarier wollen Verhandlungen mit dem Norddeutschen Rundfunk ■ Von Karl-Heinz Stamm
Berlin. Die Parlamentarier im Osten der Bundesrepublik gelten als widerspenstig und renitent. Davon kann der Mecklenburgische Ministerpräsident Gomolka jetzt ein Lied singen. Denn als es am Dienstag im Schweriner Landtag um die endgültige Klarheit über den zukünftigen Rundfunkpartner des Landes ging (wir berichteten kurz), da verweigerte ihm das Parlament die Gefolgschaft. Es müssen Stimmen aus der CDU/FDP-Regierungskoalition gewesen sein, die Gomolka jetzt zwingen, die Verhandlungen über einen Beitritt zum Norddeutschen Rundfunk (NDR) „unverzüglich“ wieder aufzunehmen. Der Ministerpräsident zeigte sich indes von der Abstimmungsniederlage wenig beeindruckt, er setzt weiter auf die „Kraft der guten Argumente“, die sich seiner Meinung nach im Laufe der Zeit durchsetzen werden.
Der Sender Freies Berlin (SFB) hingegen sieht den Kampf um den NOR noch nicht verloren; wie der Pressesprecher des Senders Erich Nieswandt erklärte, hoffe man darauf, daß die Vernunft die Oberhand gewinnen werde.
Die Entscheidung des mecklenburgischen Landtages sei keine gegen den Nordostdeutschen Rundfunk (NOR). Der stellvertretende Intendant des NDR Thoma Bernd Stehling, erklärte hingegen, nach dieser Abstimmung stehe fest, „daß es keine Mehrheit für das Modell des Nordostdeutschen Rundfunks gebe.“
Durch seinen Pressesprecher Matthias Gehler ließ der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl erklären, daß er den Beschluß bedauere. Die Region werde durch die Unentschlossenheit nicht nur medienpolitisch über längere Zeit in ihrem Handlungsspielraum beeinträchtigt, diese Haltung erschwere auch die „Sicherung der Programmgewährleistungspflicht“.
Mit dieser Entscheidung wird nicht nur die Pokerrunde neu eröffnet, sondern, was viel wichtiger ist, auch der Fahrplan für die zukünftige Rundfunklandschaft im Nordosten der Republik über den Haufen geworfen.
Denn eines wird immer unwahrscheinlicher, daß nämlich ab Anfang 1992, wie im Einigungsvertag fixiert, die zentralistische Struktur des einstmaligen DDR-Runfunks in föderale überführt wird.
Die zweihundert zusätzlichen Arbeitsplätze, die der abgeschmetterte Verbund mit Brandenburg und Berlin bringen soll, der Verweis auf die dezentralere Struktur und auf den wesentlich überschaubareren SFB, diese Argumente konnten augenscheinlich nicht überzeugen. Es ist aber zu vermuten, daß es weniger darum ging, sondern daß die Aversionen gegen den Sender Freies Berlin eine zentrale Rolle spielten. Der Sender in der Masurenallee hat nicht nur Aggressionen auf sich gezogen, als er sich seinen vermeintlichen Konkurrenten gegenüber so unkooperativ verhielt und als er ohne Not eine Art Alleinvertretungsanspruch propagierte, der Sender eignet sich auch vorzüglich als Projektionsfläche für alles Negative, das man in 40 Jahren Sozialismus aus der Hauptstadt erfahren hat.
Auch das Argument, daß analog zum Mitteldeutschen Rundfunk im Süden ein Nordostdeutscher die Aufgabe habe, einen Beitrag zur Identitätsbildung zu leisten, zog augenscheinlich nicht. Von den Befürwortern eines Zusammengehens mit dem NDR war hingegen immer die kulturelle und landsmannschaftliche Verbundenheit zwischen Mecklenburg- Vorpommern und den im NDR zusammengeschlossenen Nordländern ins Feld geführt worden.
Das Votum der Schweriner Parlamentarier läßt eine Kettenreaktion erwarten, die für die Ostdeutsche Rundfunkstruktur verheerende folgen haben könnte. Denn die Mehrheit der brandenburgischen Parlamentarier hat bereits signalisiert: Mit dem SFB niemals allein. Dann lieber eine Rundfunkanstalt Brandenburg.
Und der SFB: Mit seiner Politik des „Wir sind die einzigen“ hat der Intendant Lojewski hoch gepokert. Es scheint so, als bekäme er jetzt einen Denkzezttel. Aber was nützt das schon angesichts der Tatsache, daß mit einem Stadtsender Berlin und einem Minisender Brandenburg dem Verbund der ARD zwei Anstalten zuwüchsen, die auf den Tropf des Finanzausgleiches angewiesen wären.
Einzig für die Medienschaffenden im Berliner Funkhaus und dem DFF in Adlershof bietet sich durch die Wiedereröffnung der Verhandlungsrunde die Chance, daß ihr Anliegen einer Überführung Gehör findet. Für sie war der jetzt abgeschmetterte NOR-Plan ein Desaster, denn die „Anstalt“ kam im Eckwertepapier nicht vor.
Wie es momentan in den neuen Ländern aussieht, auch im Süden, ist schwerlich ab Anfang des nächsten Jahres mit einem eigenen Programm zu rechnen. Die Landessender bemühen sich zwar redlich, aber es fehlt an allem und jedem. Denn, so ein Mitarbeiter des Rundfunkbeauftragten: Es werden zwar eine Unzahl von Papieren produziert, aber „Papier sendet nicht“.
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