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Kaum mehr als ein erhobener Zeigefinger

Sächsisches Umweltministerium legt lange erwarteten Umweltbericht vor/ Lückenhafte oder geschönte Daten geben wenig Aufschluß über die tatsächliche Lage in den ökologischen Katastrophengebieten/ Keine Angaben über radioaktive Belastung  ■ Von Detlef Krell

Dresden. Nur unter Vorbehalt wollte der sächsische Umweltminister Karl Weise vergangene Woche den lang erwarteten Umweltbericht für den Freistaat vorstellen. Er übernehme nur bedingt Verantwortung für diese erste Analyse der ökologischen Situation im Lande, erklärte er. Denn schließlich sei der Bericht nicht in seinem Haus, sondern noch in den Behörden der Bezirksverwaltung entstanden. Die Zahlen und Daten geben den Stand von 1989 wider, vieles sei inzwischen überholt. Trotzdem sei der Bericht ein „erster Schritt in die richtige Richtung“ und dazu da, ein „Informationsbedürfnis der Bevölkerung zu stillen“. Zu welchem Nutzen der Bericht sonst noch gereichen wird, bleibt fraglich. Denn auf die Glaubwürdigkeit der Daten können sich die LeserInnen selbst einen Reim machen. Und ein Umweltkonzept, daran ließ Weise keinen Zweifel, steht nicht auf dem Arbeitsplan seines Hauses.

Nicht genug, daß die Daten etwas antiquiert und nur selten kommentiert sind. Es gibt auch keinerlei Aussagen über die Strahlenbelastung und die Belastung durch kerntechnische Anlagen. Man habe noch keinen Überblick, nur die „geschönten“ Daten des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR, gestand Weise. Auf die Frage der taz, ob denn keine Analysen von Instituten der alten BRD vorgelegen hätten, räumte Weise ein: „Wir haben schon viele Daten“, aber man wolle erst ein eigenes Netz von Meßstationen aufbauen. Ein „äußerst freundlich“ gehaltenes Kapitel über Radioaktivität hatte bereits vorgelegen, wie das Dresdner Stadtmagazin 'Sax‘ herausfand, war aber durchgefallen. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Umweltbericht der DDR 1990 und enthielt zum Beispiel über die Radon-Verseuchung rund um die ehemalige Wismut kein Wort. Am Datenmangel konnte es nicht gelegen haben, war doch im Vorfeld des Besuchs von Umweltminister Töpfer die Kontamination in diesem ökologischen Katastrophengebiet durch mehrere Institute untersucht worden. Helmar Hegewald, Vorsitzender des sächsischen Umweltausschusses, gegenüber der taz: „Es lagen genügend Daten vor.“ Das Ministerium mache es sich sehr einfach, „wenn es sagt, Wismut sei Sache des Bundes“. Während die Analyse vertagt wird, richten sich in Sachsen die Atomiker ein. Der neue Chef des Rossendorfer Instituts für Kernforschung, Wolf Häfele, hat sein atomorientiertes Konzept längst ausgebrütet. Ein öffentliches Genehmigungsverfahren für den Rossendorfer Forschungsreaktor, wie es der Arbeitskreis der Grünen Liga von Weise und Töpfer fordert, ist freilich noch nicht in Sicht.

Als „Katastrophenmeldung“ will der Herausgeber den Umweltbericht nicht verstanden wissen, doch die postulierte Alternative, die soziale Marktwirtschaft werde es schon richten, läßt nicht auf eine kritische Distanz zur altbundesdeutschen Umweltpolitik hoffen. Als besonders problematisch werden die Schwefeldioxid-Emission und die Belastung der Fließwässer herausgestellt. 1989 wurden über 1,6 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Luft geblasen. Schlimmste Giftschleuder war das inzwischen geschlossene Kraftwerk Espenhain. Unter der Staubbelastung hatten besonders Borna und Chemnitz zu leiden, innerhalb eines Jahres gingen in den sächsischen Bezirken 520.000 Tonnen Staub nieder. Alarmierend ist auch die Trinkwasserversorgung — wie Greenpeace schon nachgewiesen hat. Jede/r fünfte EinwohnerIn nahm belastetes Wasser zu sich, jedes dritte Wasserwerk förderte nitratbelastetes Grundwasser. Knapp 60 Prozent der sächsischen Fließwässer sind in den Klassen 3 bis 6 eingestuft und damit in ihrer Nutzung stark eingeschränkt. 1990 waren in Sachsen 17,1 Prozent der Waldfläche als Wasserschutzgebiet ausgewiesen; doch 65,3 Prozent der Wälder sind durch Industrieemissionen geschädigt. Wenig tröstlich ist auch die Tatsache, daß ein Viertel der Landesfläche unter Landschaftsschutz steht. Die nahezu entwaldeten Gebiete des Osterzgebirges zählte diese Statistik ebenso mit wie die akut durch Zersiedelung und Vermarktung gefährdeten, außerhalb des Nationalparks gelegenen Gebiete der Sächsischen Schweiz. Mehr als die Hälfte der Säugetiere sind gefährdet, alle Kriechtiere und Lurche, aber auch viele Farne und Moose. Elf Säugetierarten, 24 Vogelarten, zehn Fischarten, 114 Moose und 139 Farne und Blütenpflanzen existieren in Sachsen nicht mehr. Aufschlußreich dürfte ein aktueller Blick auf den sächsischen Müllberg sein. 1.480 Deponien zählt der Umweltbericht, davon 53 geordnete, 25 Schadstoffdeponien sowie sechs Verbrennungsanlagen. Doch immerhin wurden 1989 in Sachsen noch 217 Millionen Flaschen und 150.000 Tonnen Papier durch SERO erfaßt. Hier ziehen die Herausgeber sogar ein Resümee: weg von der Abfallbeseitigung, hin zur Abfallvermeidung. Keine neue Idee, die aber wieder sich selbst genügen muß, denn die vorgeschlagenen Lösungsvarianten setzen nur auf neue Deponien und Transportwege.

Wenn auch der erste sächsische Umweltbericht über eine halbherzige lückenhafte Datenliste hinaus kaum Lösungen oder Modelle für die angestrebte „konsequente Vorsorge und effiziente Gefahrenabwehr“ bietet, so belegt er doch zumindest die ökologische Krise in diesem industriellen und agrarwirtschaftlichen Ballungsgebiet. In einer Zeit, da die Grüne Liga und andere BürgerInneninitiativen längst, wenn auch stückweise, fundiertes Material zur Umweltsituation erarbeitet und alternative Projekte öffentlich diskutiert haben, ist dieser erhobene Zeigefinger sehr wenig. Ein ökologisch fundiertes Wirtschafts- und Verkehrskonzept für Sachsen müßte nun endlich auf die Tagesordnung der Landespolitik. Noch in dieser Woche wollen die umweltpolitischen SprecherInnen der Landtagsfraktionen zum Umweltbericht und zur Ökologie des Freistaates Stellung nehmen.

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