: Off limits
■ Die Katastrophengeschichte Famagustas auf Zypern: Eine Ausstellung
Der Weg von der mauerumschlossenen Altstadt nach Süden führt vorbei an Einfamilienhäusern in neoklassizistischem Stil, deren Gärten einen etwas verwilderten Eindruck machen. Der Straßenverkehr wird geringer, nur noch selten kommt ein Auto vorbei. Ein großer Kreisverkehr liegt verlassen. Außer Betrieb. Hochhäuser am Horizont rücken näher. Und dann stehst du plötzlich an einem Zaun aus angerostetem Nato-Stacheldraht, der quer über die Straße gespannt ist. Dahinter ist der Asphalt von Blumen und Gras aufgebrochen. Die Gebäude sind geplündert und stehen leer. Hochhäuser sind nurmehr leere Stahlgerippe, an denen der Rost und der Regen nagt. Der Weg ist zu Ende. Die Geisterstadt beginnt.
Famagusta — 36 Jahrhunderte der Zivilisation, heißt der Titel einer Ausstellung, die noch bis zum 19. Mai im Helms-Museum in Hamburg-Harburg zu sehen ist. Seit knapp 17 Jahren ist die Neustadt Famagustas von jeglicher Zivilisation verlassen. Ein riesiges Farbfoto der Ausstellung zeigt eine ausgestorbene Straße in Famagusta-Varosha, wo die griechischen Zyprioten im Sommer 1974 von der türkischen Armee vertrieben worden sind. Die Stadt ist Faustpfand der Türkei für eine Lösung des Zypern-Problems. Die Ausstellungsmacher, griechische Zyprioten, zeigen eine Stadt, die sie nicht betreten dürfen. Auch die Altstadt, in der türkische Zyprioten leben, ist für sie „off limits“.
Die jüngste Geschichte der zypriotischen Hafenstadt ist die eines Niedergangs. Das war einmal anders. Im 14. Jahrhundert, als Zypern von den Kreuzfahrern beherrscht wurde, galt die Stadt als eine der reichsten der Welt. „Ich wage nicht, über ihren Reichtum zu sprechen“, so der deutsche Pilger Ludolf von Suchen im Jahre 1340. 365 Kirchen soll Famagusta damals besessen haben, für jeden Tag eine. Die kleine katholische Oberschicht schwamm im märchenhaften Reichtum, den sie durch Versklavung der Zyprioten und dank der Stellung der Stadt als Knotenpunkt des Levantehandels gewann.
Die Genuesen plünderten 1373 die Stadt. Die Osmanen eroberten sie 1571 nach monatelanger Belagerung. Heute sind die meisten gotischen Kirchen nicht mehr auffindbar oder nur noch Ruinen. Die St.-Nikolaus-Kathedrale, in der einmal die Könige von Zypern und Jerusalem gekrönt wurden (da war Jerusalem schon verloren, nur der Titel blieb), haben die Osmanen mit einem kleinen Minarett versehen und zur Hauptmoschee umgebaut. Dem Gebäude schadet es nicht.
Beeindruckend die Funde, die aus der Frühgeschichte der Stadt gezeigt werden. Schon im 17. Jahrhundert vor Christus entstand nahe des heutigen Famagusta eine Siedlung, die bald zu einer großen, florierenden, kosmopolitischen Stadt heranwuchs. Von den Kupferminen wurde Kupfer nach Enkomi gebracht und dort geschmolzen, auf Schiffe verladen und exportiert. Das Geschäft machte die Händler reich. Große Gebäude aus riesigen Steinblöcken wurden errichtet. Schalen, Flaschen und kunstvolle Amphoren zeugen von der Zivilisation Enkomis. Vermutlich ein gewaltiges Erdbeben machte Enkomi im 11. Jahrhundert dem Erdboden gleich.
Die Geschichte Salamis' beginnt ein paar Kilometer neben der Katastrophe Enkomis. Dieser Stadtstaat entwickelte sich rasch zur wichtigsten Siedlung der Insel. Wieder erlebt Famagusta (Salamis) einen märchenhaften Aufstieg. In Adeligen- Gräbern hat man ganze Pferdegespanne als Beigabe für die Toten gefunden. Bettgestelle und Stühle gingen als Grabbeigabe mit. Ein Höhepunkt der Hamburger Ausstellung ist ein kunstvoll gearbeiteter Thron mit Fußbank, aus Holz und mit Nieten verziert. Er stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Der Hellenismus gewinnt an Einfluß, Salamis/ Famagusta wird Teil des Römischen Reiches. Die Stadt blüht. Ein Amphitheater, ein Gymnasium und große Marmorstatuen werden errichtet. Längst sind noch nicht alle Schätze des jahrhundertelangen Wohlstands freigelegt worden. Manches davon ist unter der heutigen türkischen Besatzung geplündert und auf dem internationalen Kunstmarkt verschachert worden. Doch einige Stücke sind in Harburg jetzt zu sehen.
Im Jahre 342 nach Christus wird Salamis durch ein Erdbeben zerstört. Constantia entsteht an seiner Stelle. Doch Seeräuber und die arabischen Eroberungszüge vernichten die Stadt erneut. Constantia wird verlassen. Famagusta, die heutige Altstadt mit ihren meterdicken Mauern, entsteht einige Kilometer weiter südlich. Der Aufstieg beginnt von neuem.
Heute ist Famagusta ein heruntergekommenes Provinzstädtchen ohne Tourismus. Die Geisterstadt Varosha hinter dem Zaun verwildert. Der nächste Aufstieg seit der letzten Katastrophe läßt auf sich warten. Klaus Hillenbrand
Famagusta — 36 Jahrhunderte Zivilisation. Sonderausstellung im Hamburger Museum für Archäologie und die Geschichte Harburgs; Helms-Museum in Hamburg-Harburg, noch bis zum 19.5.; Katalog 20 DM.
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