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Kostet die Kopfsteuer die Tories den Kopf?

Bei den heutigen Kommunalwahlen in England und Wales geht es um 12.255 Mandate/ Der Trend für die Tories geht weiter nach unten/ Meinungsumfragen aber schwanken/ Gewinne für die Labour Party sind zu erwarten  ■ Aus Liverpool Ralf Sotschek

„Da drüben liegt das Albert Dock“, sagt der Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen zur Innenstadt Liverpools. „Da schicken sie alle Touristen hin.“ Das Dock am Fluß Mersey, das 1846 von Prinz Albert eröffnet wurde, ist in den letzten Jahren zu einem gigantischen Einkaufszentrum umgebaut worden. Dinge für den täglichen Bedarf sucht man jedoch vergeblich. Statt dessen gibt es Tand und Nippes und das größte Beatles-Andenkengeschäft der Welt. Liverpools Bevölkerung bleibt dem viktorianischen Konsumbunker daher fern. „Für dieses Monument des Größenwahns hatten die Stadtherren Milliardenbeträge übrig“, moniert der Taxifahrer. „Einen Kilometer davon entfernt zerfällt die Stadt.“

Was die Nazis bei ihren Luftangriffen 1941 übriggelassen hatten, beseitigten die Stadtplaner in den fünfziger und sechziger Jahren: Historische Straßenzüge wurden abgerissen und durch Betonklötze ersetzt oder als Brachflächen sich selbst überlassen. Und dennoch ist Liverpool eine atemberaubende Stadt.

In Toxteth, das 1981 wegen der gewaltsamen Aufstände der Bewohner Schlagzeilen machte, leben hauptsächlich Schwarze, Asiaten und Iren. „Es gibt zwar auch in Liverpool Rassismus, aber er ist nicht so stark ausgeprägt wie in vielen anderen britischen Städten“, sagt Peter Kilfoyle, Wahlkampfleiter der Labour Party. „Die meisten Immigranten leben schon seit Generationen hier, und neue Einwanderer lassen sich wegen der wirtschaftlichen Lage der Stadt kaum noch in Liverpool nieder.“ Die Mißstände, die damals zu den Krawallen führten, sind jedoch bis heute nicht behoben. Das Einkommen ist niedrig, es fehlt an Jobs und Infrastruktur.

Das Büro der Labour Party liegt mitten in Toxteth. Die Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun: Heute finden in England und Wales die Kommunalwahlen statt. Peter Kilfoyle ist davon überzeugt, daß die Tories als politische Kraft in Liverpool ausgespielt haben: „Die Wähler vergessen die Kopfsteuer nicht. Schließlich müssen sie ja noch mindestens zwei Jahre damit leben, bis die neue Gemeindesteuer in Kraft tritt.“ Kilfoyle allerdings meint, auch dann wird sich an den Ungerechtigkeiten nichts ändern: „Die Gemeindesteuer läßt das Einkommen weiterhin unberücksichtigt.“

Andrew Caesar-Gordon, der politische Berater der Tories in Liverpool kritisiert einen anderen Punkt. „Das Problem ist doch, daß der Stadtrat durch sein Verhalten Liverpool Gelder vorenthält. 34 Prozent der Bevölkerung haben bis heute keinen Pfennig gezahlt. Kein Wunder, haben es ihnen doch 29 Labour-Abgeordnete vorgemacht. Dadurch sind der Stadt 15 Millionen Pfund (ca. 45 Millionen Mark) verlorengegangen.“ Peter Kilfoyle sagt, der Boykott widerspreche der Labour- Politik: „Wir dürfen unsere Anhänger nicht zu illegalen Handlungen anstiften. Bis wir an der Regierung sind und die ungerechte Steuer abschaffen können, müssen wir sie zahlen.“

Die Stadt- und Bezirksräte werden auf vier Jahre gewählt, jedoch im Turnus: Jedes Frühjahr steht etwa ein Viertel der Sitze zur Wahl. Bei den heutigen Kommunalwahlen in England und Wales geht es um 12.255 Mandate. Davon entfielen bisher 40 Prozent auf die Tories. Der Trend zeigt seitdem für sie jedoch deutlich nach unten. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr — in anderen Wahlkreisen — mußten die Konservativen 220 Sitze abgeben. Ihr Anteil fiel auf 32 Prozent. Das wird sich zweifellos auch heute fortsetzen, hatten die meisten WählerInnen doch bisher noch keine Gelegenheit, ihre Meinung über die Kopfsteuer an der Wahlurne auszudrücken. Ziel der Tories ist es nach Angaben des Parteivorsitzenden Chris Patten, die Verluste auf 200 Mandate zu begrenzen. Bei einem Umschwung von nur fünf Prozent zugunsten der Labour Party würde sich diese Zahl jedoch bereits verdoppeln. Voraussagen sind allerdings wacklig: Bei Meinungsumfragen schwankten die Ergebnisse am vergangenen Wochenende um 20 Prozent. Oft entscheiden lokale Themen über den Wahlausgang. Andrew Caesar-Gordon glaubt, daß die Kopfsteuer in Liverpool nur eine geringe Rolle spielen wird: „Der erbärmliche Zustand des öffentlichen Dienstes ist vielen ein Dorn im Auge — die defekte Straßenbeleuchtung, der Streik der Beamten in den Wohnämtern, der Streik der Müllabfuhr.“

Seit vergangener Woche weigern sich die Arbeiter der städtischen Müllabfuhr, Überstunden zu leisten, während gleichzeitig 250 Jobs dem Rotstift zum Opfer fallen sollen. Vor den Häusern und auf den Hinterhöfen stapeln sich inzwischen die schwarzen Müllsäcke, die Straßen sind übersät mit Verpackungsmaterial aus den zahlreichen Schnellimbissen. Immer wieder entzünden sich die Müllberge oder werden von Jugendlichen in Brand gesteckt. Allein am Sonntag war die Feuerwehr 116 Mal im Einsatz. Caesar-Gordon glaubt, daß seine Partei aufgrund der Stimmung mindestens zwei Sitze in Liverpool dazugewinnen kann. Das wäre eine glatte Verdoppelung ihres bisherigen Anteils: Von den 99 Sitzen im Liverpooler Stadtrat verfügen die Tories lediglich über zwei, die Labour Party dagegen über 67. Der Rest verteilt sich auf unabhängige Stadträte und die Liberalen.

Caesar-Gordon gibt jedoch zu, daß die Labour Party landesweit starke Gewinne verzeichnen wird: „So um die 200“, schätzt auch er optimistisch. Neuwahlen werde es dennoch nicht vor Oktober geben. „Wir wären ja blöd, wenn wir jetzt wählen ließen. Inflation und Zinsen sind noch zu hoch. Im Herbst sind wir jedoch aus der Rezession heraus, und dann sieht alles viel rosiger aus.“ Der Verband der britischen Industrie teilt diese Ansicht jedoch keineswegs. Am Dienstag veröffentlichten die Unternehmer eine Erklärung, in der sie die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Neuinvestitionen zutiefst pessimistisch beurteilen. Nur eine von drei Firmen ist zur Zeit voll ausgelastet — die niedrigste Zahl seit acht Jahren. Premierminister John Majors zur Schau getragene Zuversicht ist also völlig unbegründet.

Der Taxifahrer ist entschlossen, nicht zu wählen. „Wozu auch“, sagt er. „Die Tories kriegen hier sowieso kein Bein auf die Erde, und die Labour Party hat diese Stadt in den letzten acht Jahren weiter heruntergewirtschaftet.“

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