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„Wir lernten zu verlieren“

■ Der FC Berlin spielte in der Oberliga Nordost nur 1:1 gegen Sachsen Leipzig/ FCB-Libero Szangolies gelingt ein Prachttreffer — allerdings ins eigene Tor

Prenzlauer Berg (taz) — Wieder ein Schicksalsspiel für den FC Berlin. Und wieder kaum jemand da. Wie die offizielle Zuschauerzahl von 1.074 zustande kam, weiß man nicht genau. Sehr wahrscheinlich wurde massive Multiplikation eingesetzt.

Alle Anwesenden taten ihr Bestes: die Berlin-Hools zogen, durch geschicktes Stellungsspiel Zuschauermassen vortäuschend, singend durchs Stadion. Die Polizei setzte zahlreiche frühlingshaft grüne Farbtupfer. Und der gemeine Einzelzuschauer korrigierte den Schiedsrichter: „Zu hohes Bein, wa? Det war ja wohl eindeutig zu tiefes Kinn.“ Und auch die Jungs auf dem Rasen mühten sich redlich.

Der Zuschauer aber kommt nicht ins Stadion, um sich selbst zu unterhalten. Langeweile machte sich schnell breit, denn zumindest den Sachsen hatte irgend jemand wohl geflunkert, daß es sich um ein Freundschaftsspiel handeln würde — gleichermaßen konfus wie lustlos schoben sie den Ball übers Spielfeld.

Strafe muß sein! In der 23. Minute verwandelte Torsten Boer eine Vorlage von Heiko Bonan, eine Minute später konnte Sachsen-Keeper Müller nur mit größter Mühe einen Schuß von Bonan halten. Das 2:0 lag in der Luft, die Stimmung war prächtig und erreichte ihren Höhepunkt, als in der 38. Minute — „Hurra, hurra, die Leipziger sind da!“ — die gegnerischen Fans eintrafen.

Beinahe laut wurde es im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, dieses unerwartete und ungewöhnliche Phänomen in diesem Stadion mußte ja FCB-Libero Uwe Szangolies verwirren. Eine Flanke von rechts lenkt er formvollendet und aus der Luft ins Tor. Ins eigene. Jammer auf dem Rasen. Gelächter auf den Rängen. Kollapsgefahr auf der Berliner Bank.

Der FC Sachsen Leipzig jubelte — hatte er doch das Hinspiel gegen den Tabellennachbarn 1:4 verloren. Die Berliner begannen nun bei jedem eigenen Rückpaß zu zittern, das brachte wenigstens Spannung ins Spiel. Ein direktes Scheißspiel war es auch in der zweiten Halbzeit nicht. Solche gibt's sowieso nur, wenn sich zwei Millionentruppen begurken. Angesichts des Drucks, unter dem die Vereine der Oberliga Nordost bis zum Ende der Relegationsspiele am 23. Juni stehen, wird sogar noch erträglicher Fußball gespielt. Die alten Männer auf der FC-Tribüne verfolgten das Spiel gebannt, ab und zu kommentierten sie halblaut: „Die spielen gut, unsere Jungs, könnten die nicht in der ersten Bundesliga mithalten?“ Man möchte ihnen antworten: „Das werden sie auch, aber in Westvereinen.“ Aber Fußballfans sollten nett zueinander sein, deshalb hält man lieber das Maul.

Das Match blieb weitgehend statisch, ohne Bewegung und vor allem ohne Begeisterung. Ein bißchen wurde noch herumgewechselt, aber kein Aufbäumen mehr, kein Konzept. „Und sie lehrten uns zu kämpfen, und wir lernten zu verlieren... Dieser Traum darf niemals sterben, dieser Traum darf nie vergehen...“ (Atlantis 2000) Leipzigs Trainer Engel freute sich „über das Torgeschenk“, während FCB-Bogs das Spiel schlichtweg „unter aller Sau“ fand. Seine Burschen hatten schließlich zwei Tore erzielt, aber nur einen Punkt gewonnen. Elke Wittich

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