Geiselnahme mit Strauß und Pistole

Hamburgs Sozialsenator Ortwin Runde war drei Stunden in der Gewalt der Altenpflegerin Renate A.  ■ Aus Hamburg Florian Marten

„Ich habe furchtbar viel Verständnis für solche Täterinnen. Sie sind ein Stück Opfer, wie die Täter bei vielen Kriminalfällen auch gleichzeitig Opfer sind.“ Schon wieder gefaßt, schilderte der Hamburger Sozialsenator Ortwin Runde am Samstag abend, wie er seine Geiselnahme am Vortag empfand. Mehr als zwei Stunden war er in „einer Grenzlage, wo man fast neben sich steht“, in der Gewalt einer Frau mit Klappmesser und Pistole, „die sie die ganze Zeit auf meinen Körper gerichtet hielt“. Runde: „Ich hatte Angst.“

Mit einem Strauß gelber Magueriten hatte sich die 47jährige Renate A. kurz vor 16 Uhr am Freitag nachmittag problemlos den Weg in Rundes Vorzimmer im Hochhauskomplex der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales gefunden. Sie wollte den Senator in einer „dringenden Angelegenheit“ sprechen. Ortwin Runde kam hinzu, lud sie in sein Zimmer. Als er hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, zog sie eine Pistole aus ihrer Jacke: „Jetzt knallen in einigen Büros die Sektkorken.“

Eine Strafanzeige, die sie gegen MitarbeiterInnen des Pflegeheims Hucktal gestellt hatte, sei nun endgültig niedergeschlagen. „Verbrecherische Menschen kommen ungestraft davon. Das kann ich nicht ertragen.“ Renate A.: „Jetzt sind Sie dran. Ich bringe Sie um.“ Zuvor müsse Runde dafür sorgen, daß ihrer Strafanzeige endlich nachgegangen werde. Und: Ein arbeitsgerichtlicher Vergleich, den sie nach einer Strafversetzung aus einem Altenpflegeheim zunächst akzeptiert hatte, müsse zu ihren Gunsten verändert werden.

Runde rückblickend: „Die Frau war total zu. Sie befand sich in einer Tunnelsituation und wußte keinen Ausweg.“ Eine gespenstische Debatte zwischen Senator und Pflegerin folgte. Sie fragte Runde auch, ob er die Lafontaine-Attentäterin Adelheid Schulz für eine Psychopathin halte.

Schließlich verlangte sie von Runde, er solle Redakteure von taz und 'Spiegel‘ hinzuziehen. Drei dicke gelbe Aktenordner mit ihrem Fall hatte sie am 29.Januar der taz zugeschickt: „Bekommen Sie bitte keinen Schock aufgrund der Vielzahl der Unterlagen. Hiermit lege ich Ihnen die Beweise für meine öffentlichen Behauptungen vor. Auch z. Z. werden meine Familie und ich permanent von staatlichen Institutionen und Rechtsanwälten verfolgt. Ich habe Angst, daß man aufgrund dieses Berichts, uns umzubringen, wahrmachen wird. Bitte stehen Sie uns bei und helfen uns. Ihre Renate A. und Familie.“ Die tageszeitung hat damals nicht reagiert — eine Durchsicht ihrer Akten und eine kurze Nachrecherche hatten uns gezeigt, daß ihre Geschichte nicht haltbar war.

Diesmal reagierte die taz. Die RedakteurInnen Kai Fabig und Kaja Kutter sprachen mit ihr am Telefon, ließen sich ihre Geschichte erzählen. Kaja Kutter versprach zu kommen, stellte aber eine Bedingung: „Sie müssen die Waffe wegtun.“ Diese Bedingung, so Runde, habe die Situation entscheidend entschärft. Schließlich gelang es ihm, sie zu überreden, die Waffe wieder wegzupacken. Runde und Renate A. gingen zur Tür, öffneten sie. Die jetzt Unbewaffnete wurde von Beamten des MEK „überwältigt“. Ein unblutiges Ende.

Runde: „Für die Medien fehlt ja was an der Geschichte. Da liegt niemand am Boden.“ Sicherheitskonsequenzen aus dem Vorfall lehnt Runde kategorisch ab: „Die Bürger und Bürgerinnen müssen einen Hamburger Senator jederzeit in seinem Amtszimmer aufsuchen können.“