piwik no script img

Gazeschleier — mit Landschaftsmotiven

Friedo Solter inszeniert „Peer Gynt“ am Deutschen Theater  ■ Von Simone Schneider

Ibsen hat am Deutschen Theater Berlin Tradition. Im Todesjahr des Dramatikers eröffnete Max Reinhardt 1906 mit den Gespenstern die Kammerspiele des Hauses. Seitdem gibt der norwegische Seelentaucher auch in deutschen Landen den Kurs für die Expeditionen ins Unterbewußte an.

Was er damals dabei ans Tageslicht brachte, überrascht heute wirklich niemanden mehr, und die Selbstcharakteristik seiner Helden wirkt in neuer Lesart wie ein Psycho-Comic. Das Selbst-Sein so in Frage zu stellen, war Frank Castorfs eigentlicher Umgang mit dem Klassiker Jean Gabriel Borkmann, der ebenfalls zur Zeit am Deutschen Theater zu sehen ist.

Was Regisseur Friedo Solter nun am Peer Gynt interessiert, ist ebenfalls ganz aktuell. Das Premierendatum, der 1.Mai, ist von jeher symbolisch, ob Blocksberg oder Maikundgebung — es geht um die Vereinigung, und Solter geht es um die Folgen. Spätestens nachdem sich Peer als reicher Kapitalist im zweiten Teil des viereinhalbstündigen Abends die Frage stellt, „Wie kam ich damals nach dem Westen?“, wird klar, daß die Gespenster der Vergangenheit heute also indieser Form Gestalt annehmen sollten.

Der Stoff scheint gefügig zu sein. Ibsen verwandelte Peer Gynt, die Märchenfigur aus skandinavischen Wäldern, zum „nordischen Faust“, zum ewig nach sich selbst Suchenden und schickt ihn dazu auf eine Weltreise durch das Abend- und das Morgenland, nach der er, weil ja die Erde rund ist, schließlich wieder auf der eigenen Scholle, das heißt im Schoße seiner geliebten Solvejg landet. Dieser Peer nun gehört spätestens, wenn er dem „Löffelmann“ begegnet, der alles „umschmilzt“ und aus alten Köpfen neue macht, in eine neuzeitliche Gattung von Fabelwesen: den Wendehälsen. Nicht weniger mythenträchtig, wie man sieht.

Die Inszenierung versucht, den norwegischen Nebel auf diese Weise transparent zu machen. Gazeschleier, mit bunten Landschaftsmotiven versehen, irren durch den Raum, der Rundhorizont fährt wie ein Karussell, die Welt ist in Bewegung. Häuser fallen vom Himmel, riesenhafte Schweine wachsen aus dem Boden, und ein glänzender Steg, der über die ersten Reihen des Parketts gelegt ist, scheint die rettende Insel für das Selbst zu sein, das sich im Getöse der Hinterbühne allzuschnell verliert.

So ist dieser Ort auch vorzugsweise den selbstbesinnlichen Monologen des Protagonisten vorbehalten, und wo diese phantasmagorisch in die Ferne rücken, sind sie dem Zuschauer zumindest durch körperliche Nähe nah gebracht. Der junge Daniel Morgenroth könnte auf dieses Silbertablett allerdings getrost verzichten. Die größenwahnsinnigen Zukunftsvisionen Gynts nimmt man ihm auch ab ohne daß er dabei immer in die Wolken blickt. Selber kaum ein Mann, jagt er durch jedes Mannesalter. Wenn er als vergreister Peer an den Klippen seines Heimathafens strandet, mit der Erkenntnis, „hier war mein Kaisertum“, macht der sonst so emphatische Schauspieler durch seine Unbeteiligtheit an dieser Stelle klar, daß er sich den grauen Bart des norwegischen Nationalismus und anderer Verschrobenheiten nicht ankleben läßt.

Auch Solvejg steht an diesem Abend an den richtigen Stellen neben sich, das heißt immer. Treudumm scheint die hübsche Pietistin in Claudia Geislers Mienenspiel ein weiblicher Stan Laurel zu sein (aufgrund seiner sensiblen Einfältigkeit hierzulande als „Doof“ bekannt). Das in klapperndem Versmaß daherkommende Liebesgesäusel der Solvejg sagt sie wie ein Schulgedicht auf, und wenn von gotteslästerlichen Dingen die Rede ist, kraust sich ihre Stirn auch schon mal zornig.

Derartige Nuancierungen, die auf schauspielerischer Seite von dem hervorragenden Ensemble, daß auch in kleinsten Rollen hoch besetzt ist, durchweg erbracht werden, zeigen, wie undurchdringbar rätselhaft uns die Figuren dieses Stückes bleiben müssen. Wo das Material sich nicht fügt, ist Solter in seinem Aktualisierungsversuch jedoch gefällig.

Der Leichtigkeit, mit der die Borkmanns in den Kamerspielen durch ihre familiären Mißgeschicke schlittern, ist Solters Ibsen-Interpretation zu vordergründig aufgesessen. Karusselpferd, Kamel und Vogelstrauß geben sich im Wüstensand mit gagigen Solonummern die Ehre, während Anitra sächselt, und der Bauchtanz der Töchter Arabiens vor allem durch seine aufgesetzte Ungeschicklichkeit amüsieren soll.

Der Versuch, aktuell, ernst und witzig zugleich zu sein, läßt das Stück zwangsläufig auf Untiefen auflaufen, und was von Ibsen dabei bleibt, sind gut servierte Gassenhauer: „Just da ging mein Dampfer unter/ Laßt schon mal den Vorhang runter.“

Henrik Ibsen: Peer Gynt , Regie: Friedo Solter; Bühne: Hans-Jürgen Nikulka. Mit Daniel Morgenroth, Claudia Geisler. Deutsches Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 14.5. und 26.5.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen