: Die kurze Form
■ Die diesjährigen Oberhausener Kurzfilmtage
Die Oberhausener Luise- Albertz-Halle, ein dunkles Volksbildungslabyrinth, bildet zusammen mit dem Gemeindehaus der evangelischen Christus-Kirche und der Hans-Böckler-Schule ein gewerkschaftlich-religiöses Dreieck, ein Ensemble, zu dem das alljährlich wiederkehrende altruistische Motto der dort ausgerichteten Kurzfilmtage „Weg zum Nachbarn“ trefflich paßt. Glücklicherweise scherte sich die Auswahlkommission diesmal herzlich wenig um den vagen Leitspruch, der das Programm doch arg eingeschränkt hätte.
Einige Nachbarn fehlten leider: Die in Oberhausen traditionell überdurchschnittlich repräsentierten osteuropäischen Filmemacher fanden in diesem Jahr nicht den Weg in die Ruhrstadt, eine Folge des Umbruchs in den ehemals sozialistischen Ländern und der durchgreifenden Umstrukturierungen auch der Filmwirtschaft.
Früher war der Kurzfilm der Appetithappen, der im Kino vor dem Hauptfilm gereicht wurde, oft lieblos und ohne inhaltlichen Zusammenhang ausgewählt und meist allein aus steuerlichen Gründen aufgeführt. In dieser Funktion ist die Gattung ein Anachronismus und mit ihr wäre es auch das Oberhausener Festival, hätten die Verantwortlichen nicht entsprechend reagiert und das Programm um neue Medien erweitert. So stand nunmehr im Mittelpunkt, was mit dem Wort Kurzfilm allein gar nicht mehr erfaßt wird und in Ermangelung einer besseren Terminologie in Diskussionen und Vorträgen immer wieder als „die kurze Form“ bezeichnet wurde. Die nämlich ist höchstlebendig und omnipräsent, in Kompilationsfilmen, in Fernsehmagazinen, als Etüde für Filmschulabsolventen, als Videoclip und -kunst etc. Konsequenterweise wurden darum in diesem Jahr verstärkt Videofilme gezeigt, es gab ein komplettes Videosonderprogramm, einen Videopreis und ein Symposion, das unter dem Titel TV- Kurzfilm TVideo den Umgang europäischer Fersehsender mit eben dieser „kleinen Form“ thematisierte. „Zwischen Musikclip und Magazinsendung enstehen neue Programmformen, und gerade im Fernsehen wächst die Bedeutung der kurzen Form und erlangt zunehmend politische und kulturelle Relevanz“, schrieb der stellvertretende Leiter des Festivals, Jochen Coldewey, in seiner Einführung zum veränderten Stellenwert des kunstvollen Clips.
Das Spektrum der vertretenen Sender und Programmanbieter reichte vom Abonnementkanal Premiere über den eher elitären holländischen Kunstkanaal bis zu den Medienrebellen von Van Gogh TV/Ponton/Universcity aus Hamburg. Premiere, ein Ableger des französischen Canal plus, zeigt vorwiegend Spielfilme, vom Kinohit bis hin zum anspruchsvollen Unterhaltungsfilm. Um zu „runden“ Sendezeiten zu gelangen, hat man aus der Not eine Tugend gemacht und füllt die Lücken zwischen den einzelnen Sendungen mit auf das Rahmenprogramm abgestimmten Kurzfilmen, darunter Zeichentrickfilme für Kinder, künstlerische Computeranimation und vieles mehr. Für diesen Programmbestandteil gibt es eine eigene Redaktion, die Filme ankauft, aber auch durch die Zusage der Ausstrahlung Filmprojekte realisieren hilft. Aus Etatgründen ist eine eigene Produktion bislang nicht möglich; Redakteur Christophe Erbes hofft, daß sich dies mit steigender Abonnentenzahl ändert.
Während sich auf dem Kontinent die Marktchancen für Kurzfilmproduzenten durch das Engagement diverser Kabalanbieter zu verbessern scheinen, verschärft sich die Situation für ihre bislang privilegierten Kollegen in Großbritannien. Lange Zeit war Channel 4 Initiator und Finanzier ambitionierter Programme; jetzt hat die Leitung des bislang vom Kommerzsender ITV unterhaltenen Senders gewechselt, und neuen Bestimmungen zufolge ist Channel 4 künftig selbst für die wirtschaftliche Absicherung des Programms verantwortlich. Das wird unweigerlich dazu führen, daß mehr denn je die jeweiligen Einschaltquoten den Sendeablauf bestimmen. Einen kleinen Lichtblick gibt es immerhin für die unabhängigen britischen Produzenten, in Oberhausen vertreten duch John Wyver und Jane Rigby. Die Privatisierungspolitik der zurückgetretenen Premierministerin Thatcher hatte insofern positive Auswirkungen, als die bislang für freie Produzenten unzugänglichen öffentlich- rechtlichen Anstalten nunmehr gezwungen sind, 25 Prozent ihres Programms von unabhängigen Anbietern anzukaufen. Diese Entwicklung bewirkte ironischerweise eine Verkehrung der bisherigen Verhältnisse: der vormals an Experimenten völlig desinteressierte Kanal BBC 2 übernimmt nun die Realisation unkonventioneller Sendereihen, die von Channel 4 einst begonnen, von den neuen Programmdirektoren aber abgewürgt wurden.
Ein Beispiel für eine ungewöhnliche deutsche Fernsehsendung stellte der Kölner Produzent Thomas Schmitt mit seinem Kulturmagazin Freistil vor, das er regelmäßig im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks produziert. Eine mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Ausgabe von Freistil trug den Untertitel Krieg und Fliegen und befaßte sich mit den Wechselbeziehungen von Krieg und Kultur, eine treffende Ergänzung und Überleitung zum zweiten Symposion des Festivals: Das Auge der Bombe. Bereits 1989 nahmen die Autoren der Sendung vorweg, was durch den Golfkrieg vehement bestätigt wurde: „Wir erinnern den alten Krieg. Der neue wird zu schnell sein: Hören und Sehen werden uns vergehen.“
Die Verbindung moderner Kommunikationsmittel mit dem Krieg hat Tradition. Walter Bruch, der Erfinder des deutschen Farbfernsehsystems Pal, arbeitete bereits 1943 an einer Bombe, die ihr Ziel selbsttätig ausmachen und ansteuern sollte. Außerdem ermöglichte die noch junge TV-Technik die gefahrlose Überwachung der Raketenversuche in Peenemünde. Aktuelle Überschneidungen gibt es im Bereich der Forschung virtueller Realität und der Computersimulation. Eindringlich warnte der US-amerikanische Computerwissenschaftler Dr. Joseph Weizenbaum die Zuhörer vor der unumgänglichen Verschränkung von Computerforschung und Rüstungsproduktion. „Wer beispielsweise“, so Weizenbaum, „an Systemen arbeitet, die Computer ,sehen‘ lehren, muß wissen, daß jeder errungene Erfolg auf diesem Gebiet beinahe zwangsläufig in Technologie umgewandelt und dann in Waffensysteme eingebaut wird. Nicht nur wissenschaftliche Beschäftigung mit den visuellen Möglichkeiten der Computertechnologie, auch die auf den ersten Blick harmlose Anwendung von Speichersystemen birgt derartige Gefahren. So wurden Erkenntnisse, die sich aus dem künstlerischen Umgang mit dem Computer ergaben, von den Militärs bereits für ihre Flugsimulatoren übernommen.
Rangieren Symposien ansonsten häufig in den Randzonen derartiger Festivals, so rücken die Oberhausener Veranstaltungen aufgrund der brisanten Thematik in den Vordergrund und es verwundert nicht, daß eine Diskussion mit Dr. Weizenbaum, dem Videokünstler Prof. Ingo Günther, Professor Dr. Friedrich Kittler (Autor des Buches Grammophone Film Typewriter) und Jochen Coldewey starken Publikumszuspruch fand.
Einen Beleg dafür, wie nahe Kino und Krieg einander stehen, lieferte unfreiwillig der Katalog der Filmtage. Mit einer ganzseitigen Anzeige warb der Festivalsponsor Bose für seine „Acoustic Wave Cannon“ (sic!) mit den Worten: „Mit der weltweit neuen Bose Acoustic Wave Technology landet der Helikopter nicht nur auf der Leinwand, sondern mitten im Publikum.“ Man kann wohl davon ausgehen, daß die Autoren nicht gerade einen Rettungshubschrauber im Sinn hatten.
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