: Ausgangssperre in Washington
Ausschreitungen in der US-Hauptstadt nach Schüssen bei der Festnahme eines Hispaniers Hispanische Einwanderer beschweren sich über Mißhandlung und Willkür durch die Polizei ■ Aus Washington Rolf Paasch
Die Fernsehkameras der lokalen TV- Networks haben Position bezogen. Auf der Mount Pleasant Street schreiten jugendliche Demonstranten und Polizisten langsam aufeinander zu wie in einer Szene aus High Noon. Dann fliegen die ersten Steine und Flaschen gegen die Phalanx der Uniformierten, die gleich mit Tränengasgeschossen antworten. Schon in der zweiten Nacht wurde Washington Zeuge solcher Ausschreitungen, ehe Bürgermeisterin Sharon Pratt Dixon am Montag abend eine Ausgangssperre verhängte.
Das letzte Mal, nach der Ermordung Martin Luther Kings im Jahre 1968, waren es Schwarze gewesen, die bei schweren Unruhen ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legten. Diesmal sind es die jüngsten Einwanderer aus Zentralamerika, die mit sporadisch gewaltsamen Aktionen gegen die Polizei auf sich aufmerksam machen, nachdem am Samstag einer der ihren von einer Polizistin niedergeschossen worden war. Er sollte wegen Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit festgenommen werden.
Zwar sind in der zweiten Nacht längst weiße und schwarze Jugendliche in die Plünderungen und Straßenschlachten miteingestiegen. Doch die tiefere Ursache für den ursprünglichen Ausbruch der Feindseligkeiten sind die Ressentiments spanischsprechender Hauptstadtbürger gegenüber der Polizei. Wie ein Lauffeuer hatte sich Samstag das Gerücht von der „Ermordung eines Latinos in Handschellen“ verbreitet — für viele Hispanics Bestätigung eigener Erfahrungen mit der Polizei.
Nachdem die Unruhen von 1968 zur Integration von Schwarzen in die Polizei geführt hatten, sind heute nur 140 der 4.900 Beamten in der US- Hauptstadt Hispanics. Der Anteil der Hispanier an der Bevölkerung wird dagegen — die illegalen Einwanderer eingeschlossen — auf über 10 Prozent geschätzt. Tendenz steigend. Gerechtigkeit und Fairneß in der Behandlung durch die Ordnungshüter waren denn auch immer wieder die Forderungen, die Bürgermeisterin Dixon bei ihrem Streifzug durch die aufgeregte Nachbarschaft zu hören bekam. Trotz der verhängten nächtlichen Ausgangssperre verzichtete die Polizei bisher auf gezielte Festnahmen. In Washington weiß man nur zu gut, wie leicht sporadische Ausschreitungen zu einer ausgewachsenen „Riot“ wie im Jahre 1968 führen können.
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