: Die Sauerei schrumpft sich gesund
Die Schweinemastanlage muß nach EG-Richtlinien den Tierbestand erheblich senken und folglich auch das Personal/ Großanlagenkonzept soll trotz favorisierter Einzelbauernpolitik erhalten bleiben ■ Von Dirk Peters
Halle. Dreißigtausend Schweine sind ein knappes Jahr nach dem Ende der DDR-Landwirtschaft noch übrig von den sechzigtausend, die sich einst, auf dem Höhepunkt des Größenwahns, in den Ställen des Tierzucht-Gutes Mücheln suhlten. Die Situation der Fleischfabrik ist nichtsdestotrotz auch weiterhin kompliziert. „Wir haben unterdessen natürlich auch die ,Käfigung‘ abgeschafft“, erklärt Geschäftsführer Lothar Peruth, „unsere Sauen vegetieren heute nicht mehr in diesen engen, mit Recht verrufenen Verschlägen.“
Seit 1979, als Politbürokrat Horst Sindermann selbst ins Örtchen Roßbach vor den Toren Halles eilte, um die jüngste industrielle Schweinemastanlage des Bezirkes in Betrieb zu nehmen, wurden in den chemieanlagenähnlichen Stallungen Schweine gezüchtet. Viele Schweine. Sechseinhalbtausend sogenannte produktive Sauen sorgten für ständigen Nachschub an Jungtieren, mehr als 450 Angestellte mühten sich um peinliche Keimfreiheit und möglichst nahrhaftes Futter. Ein in sich gesunder Betrieb, dessen größte Sorge damals auch noch keine war. Bis die Wende kam.
Ökologische Kopfschmerzen
„Die Sanierungskonzeption, die wir erarbeitet haben“, erzählt Lothar Peruth, „ist dann ganz schnell zu einer Art Strategie fürs Überleben geworden.“ Denn neben den Schwierigkeiten, die durch die plötzliche unmittelbare Konkurrenz mit westdeutschen und westeuropäischen Unternehmen täglich für die Liquidität des Gutes standen, tauchten schon im Frühjahr 1990 die EG-Richtlinien am Horizont auf, nach denen eine Großanlage mit 60.000 Schweinen quasi über Nacht zum Ding der Unmöglichkeit zu werden drohte. „Die Anlage ist zwar nicht so groß wie die berüchtigte in Neustadt/Orla, aber immer noch groß genug, um uns gewaltige ökologische Kopfschmerzen zu machen.“
Lothar Peruth, Landwirt mit Leib und Seele, ist in den letzten Monaten zum Mathematiker geworden. „Es gibt bei der EG genaue Umrechnungssätze, wieviel Fläche pro Tier zur Gülleverkippung zur Verfügung stehen muß.“ Was bei all der Rechnerei am Ende unterm Strich stehen muß, war klar: Die Zahl der Tiere ist nicht zu halten und ebensowenig die Zahl der Angestellten. „Abbau der Arbeitskräfte und Tiere — das stellte sich schnell als einziger gangbarer Weg zur Liquiditätssicherung und Einhaltung der Umweltauflagen heraus“, meint Peruth im Nachhinein. Aber leichter gesagt als getan. Die präzisen Pläne für die etappenweise Senkung des Tierbestandes nämlich waren nur zu schnell Makulatur. Pleitegehende LPGs und volkseigene Güter nahmen Jungtiere nicht mehr ab, Schlachthöfe kündigten feste Verträge. „Und wir hatten stets und ständig mehr Gülle zu entsorgen als geplant war.“
Glück für Peruth, daß sein zu langsam schrumpfender Betrieb mehr Lagerkapazität zur Verfügung hat als die einschlägigen EG-Richtlinien fordern. Denn versprüht werden darf Gülle nur während der Vegetationsperiode, in der restlichen Zeit des Jahres müssen alle ungeliebten Abfallprodukte der erfolgreichen Schweinezucht gesammelt und aufbewahrt werden. „Inzwischen schon so etwas wie unsere Hauptbeschäftiung“, grinst Peruth, „aufzupassen, daß nichts durchsickert.“
Seit Mai 1990 hat das ehemalige Staatsgut Mücheln, das heute unter Treuhand-Verwaltung steht, seine Schrumpfungspläne konsequent verfolgt. Trotz aller Schwierigkeiten ist der Soll-Bestand an Tieren jetzt erreicht, die Hälfte wurde verkauft. Von den sechseinhalbtausend tragenden Sauen, die das eigentliche Rückgrat des Betriebes bildeten, sind auch bloß noch ganze zweitausend übrig. Und von den einst 465 Leuten, die in der Mastanlage arbeiteten, sind 135 bereits in Rente und Vorruhestand verabschiedet. Die Hälfte der Verbliebenen aber muß dennoch weiter um den Arbeitsplatz fürchten: Bis auf einige wenige Mitarbeiter ist für alle Kurzarbeit Null angeordnet.
Die Philosophie der Klein- und Mittelbauern
„Mit einer Großanlage, wie wir sie hier betrieben haben“, sinniert Lothar Peruth derweil, „hältst Du Dich aus den verschiedensten Gründen nicht am westeuropäischen Markt.“ Weil die Politik kein Interesse hat, sich die einzelbäuerischen Wirtschaften im Westen von östlichen Agrarfabriken kaputtmachen zu lassen. Schließlich steckt hinter den Klein- und Mittelbauern eine ganze Philosphie. Eine Philosophie zumal, die der konservativen Politik prima zupaß kommt. Wenn im Stall eine Glühbirne kaputtgeht, nimmt der Bauer sein Portemonnaie und kauft eine neue. Kosten, die keiner notiert, Aufwendungen, die der Bauer selbst trägt und die deshalb auch nirgendwo zu Buche schlagen. Lothar Peruth hat sich Gedanken gemacht: „So ist das natürlich einfacher als bei uns, wo alles und jedes am Ende unter Verwaltungskosten wieder auftaucht.“
Die Zweifel bleiben, ob die auch in Sachsen-Anhalt von der Regierungspolitik favorisierte Rückkehr zum Einzelbauerntum das richtige ist. „Unsere Leute hier“, meint Peruth jedenfalls, „waren doch über mindestens dreißig Jahre ihre regelmäßigen Arbeitszeiten, ihren Jahresurlaub und so weiter gewohnt.“
Nichtsdestotrotz, die verschiedenen Rechnungen machen die Großviehanlagen im Vergleich unwirtschaftlich. „Obwohl wir eigentlich effektiver arbeiten könnten als der Einzelbauer.“ Peruth will es mit seinem Betrieb beweisen. Aus dem gröbsten sind sie heraus, seit die Treuhand zusätzliche Flächen zur Gülleverrieselung bewilligt hat. Und den Wechsel auf die unternehmerisch erfolgreiche Zukunft wähnt Peruth auch schon ausgestellt: „220 produktive Sauen, gezüchtet auf Streßresistenz und hohes Fleischansatzvermögen“, klopft sich der Züchter an die Brust, „und die paaren wir jetzt mit anderen Edelschweinen.“
Heute, wo die Schlachthöfe im Gegensatz zu früheren Gepflogenheiten nur noch den Muskelfleischanteil am Schwein bezahlen wollen, kommt es auf gute Fleischqualität ganz besonders an. „Ohne ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen“, weiß der Tierzüchter Peruth, der „Osterfahrungen bei der Zucht“ nutzen und nicht wie viele andere Kollegen vorschnell westdeutsche Zuchterfolge kopieren will. „Deren Schweine sind gut, aber nichts für unsere Bedingungen“, glaubt er herausgefunden zu haben.
Hoffnung auf den privaten Investor
Oberstes Ziel aller Arbeit ist es, den Betrieb selbst verkäuflich zu machen. Zur Zeit sind die Erlöse eigentlich noch „eine einzige Katastrophe“, gesteht Peruth. Der nickelbebrillte Mittdreißiger geht auch für die Zukunft davon aus, daß es ohne Fördermittel nicht gehen wird. Dazu ist die technische Ausstattung der Anlage nicht gut genug — ein privater Investor aber, der den Laden erst einmal auf Vordermann bringen würde, ist zur Zeit noch nirgendwo in Sicht. Ein Teufelskreis wie überall. „So lange wir nicht wenigstens kostendeckend arbeiten, kauft uns keiner.“
Alle Hoffnungen der Noch-Angestellten der letzten Schweinefabrik in den neuen Bundesländern richten sich folglich auf die Treuhand-Landwirtschaft, die inzwischen immerhin signalisiert hat, daß sie die Roßbacher Großviehanlage für erhaltenswürdig und sanierungsfähig hält. „Das ist ein Anfang“, ist sich der Chef sicher, „wenn ich das nicht glauben würde, wäre ich nicht mehr hier.“
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