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„Stasi-Fraktion“ in den Landtagen

■ Bündnis 90/Grüne fordern konsequente Überprüfung aller Abgeordneten und Regierungsmitglieder In Mecklenburg-Vorpommern sollen 20 Prozent der Mandatsträger für die Stasi gearbeitet haben

Berlin (taz) — Ein geflügeltes Wort geht um: das von der „Stasi-Fraktion“ in den neuen Landtagen. Sollten einmal tatsächlich alle Zuträger und Inoffiziellen Mitarbeiter der früheren Staatssicherheit bekannt werden — sie könnten sich flugs, sozusagen zum Selbstschutz, parteiübergreifend zusammenschließen. So kolportierte gestern der Berliner Abgeordnete und frühere Stasi-Auflöser Hans Schwenke die mangelnde Bereitschaft der Parlamentarier, sich einer genauen Überprüfung ihrer Vergangenheit zu stellen.

Reinhard Schult, Landtagsvertreter des Neuen Forums in Berlin und früher auch Stasi-Auflöser, setzte dem noch eins drauf: Die kleinsten Fraktionen wären es nicht. Allein in Mecklenburg-Vorpommern stünden zwanzig Prozent aller Volksvertreter im Verdacht, früher in die Machenschaften der Staatssicherheit verstrickt gewesen zu sein.

Mit zehn Prozent ist die Quote, die Schult für das Bundesland Sachsen- Anhalt angab, vergleichsweise beinahe schon bescheiden. Für die übrigen Neuländer, Thüringen, Sachsen und Brandenburg, gibt es zur Zeit keine Angaben. Eine Überprüfung der Landtage wurde bei der zuständigen Behörde des Stasi-Sonderbeauftragten Jochen Gauck zwar angefordert, Ergebnisse sind bislang aber nicht bekannt.

Gemeinsam mit der innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Grüne, Ingrid Köppe, forderten die beiden Berliner Abgeordneten gestern eine generelle Durchleuchtung aller Mandatsträger. Die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, welche der Volksvertreter früher der Stasi zugearbeitet haben, erklärte Köppe. Die derzeitigen Regelungen im Bund und in den Ländern, nach denen eine Überprüfung nur beim Vorliegen „konkreter“ Verdachtsmomente und nur mit der Zustimmung des Verdächtigten erfolgen kann, nannte sie „unakzeptabel“. Um zu verhindern, daß ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit „erneut in führenden Positionen der Politik arbeiten dürfen“, stellte die Bündnis-Fraktion im Bundestag daher erneut den Antrag, alle Abgeordneten und Regierungsmitglieder auf eine Stasi-Vergangenheit hin zu überprüfen.

Reinhard Schult und Hans Schwenke forderten darüber hinaus für die Landtage die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen. Diese müßten zudem in die Lage versetzt werden, auch die Führungsoffiziere der Inoffiziellen vernehmen zu können. Eine pauschale Verurteilung ließe sich somit vermeiden, wie auch die Frage geklärt werden könnte, welcher der ehemaligen Mitarbeiter konkret für was verantwortlich gemacht werden kann.

Schult, der in der letzten Woche die Anzahl der früheren Stasi-Mitarbeiter im Berliner Abgeordnetenhaus mit mindestens drei bezifferte, verwies auch auf Anwerbungsversuche der Geheimdienste unter den ehemaligen Stasi-Zulieferern. Solange deren Vergangenheit nicht auf den Tisch komme, blieben sie für die „verschiedensten Kreise“ erpreßbar. Wolfgang Gast

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