Captain Marvel spielt nicht mehr

■ Über Bryan Robsons Versuch, mit Manchester United endlich einen bedeutenden Pokal zu gewinnen Aber die Briten sind im EC-Finale nur Außenseiter gegen den spanischen Champion FC Barcelona

Berlin (taz) — Seien wir doch schonungslos offen und ehrlich: Die Bayern sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Aber nicht nur sie, auch Real Madrid, Benfica Lissabon und der AC Mailand spielen auf Europas Fußballplätzen nicht mehr die Rolle, die sie für sich selbst vorgesehen haben.

Ein anderer Verein aber, der sich selbst stets zu Höherem berufen wähnte, in Wahrheit aber seit mehr als 20 Jahren weit weg vom Fußball- Fenster war, hat heute abend in Rotterdam eine große Chance. Im Finale des Europacups der Pokalsieger kann er endlich eigenen Ansprüchen genügen und sich in die Liste der besten europäischen Teams einschreiben: Manchester United F.C.

Fanatisch, mit ungeheurem Energie- und Geldaufwand haben die Macher vom Old Trafford in all den Jahren versucht, die großen Tage der Sechziger, als die englische Meisterschaft 1967 und der Europapokal gegen Benfica Lissabon gewonnen wurde, zu wiederholen. Doch außer drei Cupsiegen (1983, 1985 und 1990) ist nichts herausgesprungen. Das ist besonders hart für einen Mann, der fast ein Jahrzehnt lang die red devils auf den Rasen zu führte: Bryan Robson. Der Mittelfeldspieler, der seit 1981 in Manchester spielt und 1990 von der Königin zum „Offizier des Ordens des britischen Empire“ ernannt wurde, hat das Pech wirklich gepachtet.

Nicht nur, daß er jahrelang inmitten einer Gurkentruppe ansehen mußte, wie der FC Liverpool die Titel sammelte, auch seine fast neun Jahre währende Zeit als England Captain stand zumeist unter Max Schautzers Stern von „Pleiten, Pech und Pannen“. Dabei hatte sein managerialer Namensvetter Bobby, und sogar die Nation ihr Schicksal in Robsons Hände gelegt. Und der England-Manager hatte noch eins draufgesetzt und Bryan zu seinem Captain Marvel ernannt, zum Wunderbaren, zum Helden mit den außerirdischen Fähigkeiten. Aber es kam immer etwas dazwischen auf dem Weg zum Heldentum. Nicht eine verwundbare Stelle wie einst Achilles, Tausende hatte Captain Marvel über seinen gesamten marvelösen Körper verteilt. Und irgendeine davon pflegte immer dann zu streiken, wenn es darauf ankam: Bei der Weltmeisterschaft 1986 war es die Schulter, vier Jahre später die Achillesferse. Der Captain reiste nach Hause und ein pausbäckiger Geordie namens Gascoigne, dessen Hauptinteresse dem Verzehren von Schokoladenriegeln galt, wurde über Nacht zum Superstar und Pophelden. Soweit hatte es der brave, immer freundliche Robson auch nach 87 Länderspielen nicht annähernd gebracht.

Und auch wenn der Antreiber und Arbeiter Robson, nun 34jährig, in diesem Jahr nochmals für zwei Spiele ins englische Team zurückkehrte, sogar die Kapitänsbinde wiederbekam, ein Star war er nicht mehr. Als Graham Taylor, der neue Auswahl-Manager Englands, im letzten Europameisterschafts-Spiel auf ihn verzichtete, erregte das im Land kaum Aufsehen. Die Schlagzeilen gehörten dem Marseiller Chris Waddle, der zu Zeiten von Captain Marvels größten Abenteuern gerade mal eine Nebenrolle am rechten oder linken Flügel spielen durfte. Das Feyenoord-Stadion zu Rotterdam wird wohl der Ort der letzten Mutprobe Captain Marvels. 56.000 Zuschauer werden ihn und seine kickenden Freunde wie den Ex- Bayern Mark Hughes und die „Entdeckung der Saison“, Stürmer Lee Sharp im Kampf gegen die katalanische Übermacht von Johan Cruyffs Starensemble beobachten.

Auch wenn der Fußball heute abend in Rotterdam wieder einen Stoff gebähren sollte, aus dem die Tränen sind, auch wenn der Außenseiter Manchester United über den Favoriten FC Barcelona triumphieren sollte, auch wenn der Mann im roten Leibchen mit der Nummer sieben endlich einen großen Pokal des europäischen Fußballs in die Nacht heben wird — er wird ein stinknormaler Fußballer namens Bryan Robson sein. Der spielt immer noch, Captain Marvel aber hat sein letztes Match längst beendet. Peter Unfried