Armeeaufmarsch an Albaniens Grenze

Panzerverbände bestimmen im Kosovo das Bild/ Kontrollen und Wohnungsdurchsuchungen terrorisieren Bevölkerung/ Angstpsychose bei der serbischen Presse: Invasion aus Albanien droht!  ■ Aus Pristina Roland Hofwiler

Die albanische Regierung ist allmählich beunruhigt über die Truppenverstärkungen der jugoslawischen Armee an der jugoslawisch-albanischen Grenze. 'Zeri i Populitt‘ spricht sogar von einer möglichen Bedrohung der „territorialen Integrität“ des Landes. Diese gehe allerdings nicht von den regulären jugoslawischen Verbänden aus, sondern von den bewaffneten Freischärler- Trupps des nationalistischen serbischen Cetnik-Führers Voijslav Seselj. Staatschef Ramiz Alia hat sich in Tirana im Gespräch mit dem jugoslawischen Albaner-Führer Hasan Halili entsprechend geäußert. Als Konsequenz wurde die albanische Armee in Alarmbereitschaft versetzt.

Aus Halilis Parteizentrale, der „Partei der demokratischen Prosperität“ im mazedonischen Tetovo war zu erfahren, daß Seselj bereits damit begonnen hat, Freiwillige zu rekrutieren, die ähnlich wie in den letzten Wochen in Kroatien nun auch im Kosovo und in Mazedonien Furcht und Schrecken verbreiten sollen. Angriffsziel sind die Kosovo-Albaner und die albanische Minderheit Mazedoniens, beide in ihren politischen Rechten unterdrückt und — insbesondere im militärisch besetzten Kosovo — einer in Europa einzigartigen Zwangsassimilierung ausgesetzt.

Ein Augenschein in der Umgebung Pristinas bestätigt den Armeeaufmarsch. Wie in Kroatien muß man auf den Überlandstraßen unzählige Polizeikontrollen über sich ergehen lassen, Panzer und andere Kettenfahrzeuge verwandeln Wiesen und Äcker in ein Manöver-Schlachtfeld. Einziger Unterschied zu Kroatien: Die hier wohnenden Bauern trauen sich nicht, Barrikaden zu errichten, sind zu sehr eingeschüchtert. Anonym klagen sie ihr Leid: Seit Wochen seien großangelegte Razzien im Gange, Rekruten drängen einfach in Wohnhäuser ein und suchten nach Waffen. In der serbischsprachigen 'Jedinstvo‘ wird behauptet, eine „illegale albanische Untergrundorganisation“ sei ausgehoben worden. Der Kommentar der Zeitung: „Die Bundesarmee war überaus erfolgreich — wann wird sie es auch im faschistischen Kroatien sein?“

Hier in der Kosovo-Provinz, wo nur 13 Prozent Albaner wohnen, sind die Serben auf Militanz eingeschworen. Mehrfach in der Woche werden in Kosovo-Polje öffentliche Schießstunden veranstaltet. Zur „Selbstverteidigung“. Der Feind: „die albanisch-kroatische Verschwörung, die Jugoslawien ins Verderben treibt“. Kaum eine Zeitung Serbiens, die dieser Tage nicht Albanien anklagt, Truppen für einen Überfall auf das Kosovo zusammenzuziehen. Der jugoslawische Geheimdienst will, wie die Wochenzeitschrift 'Duga‘ mitteilte, 50.000 Untergrundkämpfer ausgemacht haben, die in Albaniens Bergen auf den Einsatzbefehl zur Befreiung des Kosovo warteten.

Horrormeldungen dieser Art reagieren darauf, daß in Albanien die „nationale Frage“ neu diskutiert wird. In der albanischen Presse ist von der „Berliner Mauer auf dem Balkan“ die Rede, die es jetzt zu überwinden gelte. Das neu gewählte Parlament in Tirana verabschiedete einhellig eine entsprechende Resolution. Die Antwort: der jugoslawische Truppenaufmarsch. In Serbien wandte sich nur die „Demokratische Partei“ gegen das Säbelrasseln. Aber das Argument ihres gemäßigten Vizevorsitzenden Djindjic, die Albaner wollten nur die Nation, es käme aber darauf an, die Demokratie zu entwickeln, dann lösten sich die nationalen Probleme von selbst, wird bei den Albanern kein Gehör finden. Zu schwer wiegt die Hypothek der Erfahrung mit gebrochenen Versprechungen.