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Ostjammer und Bulgaren-Punk

■ Bericht vom »IV. Theoretischen Seminar zur Popmusik« im Konferenzzentrum der Humboldt-Universität in Gosen

Einladend heben und senken sich ein paar Ökohügel auf dem Gelände des »Konferenzzentrums der Humboldt-Universität Gosen bei Berlin«. Schwarze Buchstaben an der Tür eines Schnellbaus beweisen, daß hier für drei Tage das Zentrum der Poptheorie ist. 17 Vorträge und zwei Diskussionsrunden preßten sich in den zwei Tagen des »IV. theoretischen Seminars zur Popkultur« recht eng aneinander. Nur alle anderthalb Stunden kamen die TeilnehmerInnen dazu, fleißig ein paar Zigaretten zu verdrücken. In Amerika sei das eine Katastrophe mit dem Rauchen, erzählt vergnügt der Leiter des »Forschungszentrums populäre Musik«, Dr. Peter Wicke. Als Raucher käme man sich dort fast ausgestoßen vor.

Georg Wolter, bärtiger 1-Mann Konzert-Agent und vielbewunderter Simultanübersetzer der Tagung, raucht auch ganz gern. Trinken mag er nicht. Mit dem Hinweis, er sei »Moslem«, lehnt er immer dementsprechende Angebote ab und freut sich über erstaunte Blicke. Wolter, für viele der einzig echte Hallenser Punk, ist oft für einen kleinen Scherz zu haben. Auf dem Weg nach Gosen erzählt er von früher. 1967 hatte der US-Propagandasender RIAS z.B. ständig in den Osten verkündet, daß die Rolling Stones auf dem Springerhochhaus spielen würden. Natürlich wäre er mit ein paar Freunden dagewesen, doch statt der Stones traf man nur auf Vopos, die die Kulturabweichler schnell einknasteten und ihnen erst mal die Haare abschnitten. Auf der Suche nach der zugewiesenen Bleibe fragt »Schorsch« harmlos vorbeigehende Fußgänger, wo denn hier das »Stasibettenhaus« sei. Pikiert wenden die sich ab und schätzen es auch nicht, als »Genossen« angeredet zu werden.

Das Konferenzzentrum hat sich in der ehmaligen Aufklärungsschule der Staatssicherheit eingerichtet. Hohe Zäune, metallene Podeste am Eingang, auf denen früher mal Beobachtungskameras standen, überheizte Fertigteilbauten. Vieles wirkt ein bißchen klaustrophobisch. Krenz und andere Spitzen von NVA und FDJ hätten hier oft, so geht die Sage, lustige Spiele im Rausche des Abends gespielt. Der kurzzeitige DDR-Chef wäre dann gerne unter die Tische gekraucht und hätte den Hund gemacht. »Identitäts- und Sinnverlust« auf der einen, »sinnentleerten Konsum« auf der anderen Seite, Rechtsradikalismus im Osten und »perverse Golfkriegsdiskussionen im Westen« und der »Totalzusammenbruch kultureller Infrastruktur« in den FNL waren nur ein paar der Eckpunkte, mit denen Peter Wicke die neudeutsche Wirklichkeit eingangs charakterisierte. Ein »kulturpolitischer Skeptizismus« allerdings sei unangebracht. In Frage gestellt wurde der Protektionismus, den die Hochkultur genieße. Viel gäbe es zwischen Oper und einem immer standardisierteren Schallplatten- und Videomarkt, das wohl auch gefördert zu werden verdiente.

»Manch skeptische Andeutung in der Eingangsrede« nahm Olaf Schwencke, Präsident der »Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.« auf, um ganz allgemein gegen »kontraproduktive Entwicklungen« in einem vereinten Europa zu reden. Bücher und andere Kulturgüter dürften nicht so wie »Schmierseife« oder »Schlipse« behandelt werden, forderte der ehemalige Europa-Politiker. Er plädierte für eine Regionalisierung von Kultur und wehrte sich redlich gegen konservative Kreise, die Kultur nur als »Motor der wirtschaftlichen Entwicklung« betrachten würden. Ein wenig allgemein sei Schwenckes Vortrag schon gewesen, schmunzelte spät abends ein tschechischer Kulturwissenschaftler beim Kindl-Pils im »Club 90«. Gern hätte er den SPD-Politiker ein wenig geärgert oder zum Fenster rausgeschmissen, doch der sei ja Protestant, wie man unschwer hätte feststellen können. Protestanten verständen so was nicht. Und Schwencke weilte längst schon auf einer anderen Tagung als Jiri Fukac fragte, vor welchen Trends wir denn die sogenannte kulturelle Identität verteidigen wollten, zumal die ostdeutschen KollegInnen doch ohnehin beklagten, daß sie die ihrige längst schon verloren hätten. Statt sich in nationalistischen Identitätsvorstellungen zu isolieren, solle man sich an den Grenz- und Durchgangsgebieten Europas orientieren.

»Wir werden zu tode amüsiert«, stellte der Westpublizist Dr. Rainer Jogschies fest. Ehemals gegenkulturelle Sex- & Drogenhits, wie Light my fire, hätten amerikanischen Bomberpiloten im Golfkrieg nur noch als Illustration ihrer Einsätze gedient. Nicht mehr das lebendige Versprechen von »Sex & Drugs & Rock 'n‘ Roll«, sondern die Formel »No Sex, No Drugs & Rock 'n‘ Roll« kennzeichne das Popgeschehen. Popmusik sei beliebig geworden. Überhaupt sei Pop inzwischen vor allem »Verkaufsdroge, Sexersatz und Lebensstilsurrogat«. Wo er recht hat, mag er zwar recht haben, zu Recht bemängelte man allerdings an den Ausführungen des Hamburgers, daß sie doch etwas global waren und daß er die Bewegungen der letzten Jahre, die sich doch teilweise recht drogentrunken oder sexbesessen gaben — ob Hiphop, Rave, House usw. —, schlicht ignorierte.

Professor John Shepherd, kanadischer Gastdozent am Forschungszentrum, hielt dagegen: »Der Sinn der Popmusik läge vor allem in ihrem kulturellen Kontext und in dem Gebrauch, den man von ihr macht. Die Rede von der verlorenen Pop-Unschuld führe zu nix.«

Besonders interessant waren die Vorträge, in denen von den lokalen Verhältnissen die Rede war oder in denen das Verhältnis zwischen Lokalisierung und Globalisierung von Pop zur Sprache kam. Sympathisch karg zum Beispiel warf der Niederländer Paul Rutten vom Institut für Massenkommunikation der Universität Nijmegen mit einem Overheadprojektor interessante Zahlen und Fakten an die Wand. Der europäische Markt, so belegte er, hat in den letzten 5 Jahren den amerikanischen lustig überflügelt: während dort 1984 noch 30,9 Milliarden Dollar für Pop ausgegeben worden seien, waren es 1989 schon 40,4 Miliarden; umgekehrt war es in den USA verlaufen. 45,3 Milliarden Dollar stehen hier 34,3 Milliarden gegenüber. Wer also immer noch von einer Amerikanisierung europäischer Kultur redet, hat im Popbereich schlicht unrecht, zumal drei der größten amerikanischen Plattenfirmen inzwischen in japanischer (CBS und MCA) respektive in deutscher Hand (A & M) seien und man also eher von einem Ausverkauf der amerikanischen Unterhaltungsindustrie sprechen könnte. Wie sich das auf die Musik auswirken würde, darüber ließe sich nur spekulieren, zumal der Anteil lokaler Musik, die auf dem angloamerikanischen Markt verkauft werden würde, immer noch sehr groß ist und der Weg zum Erfolg für die meisten Bands — auch auf ihrem lokalen Markt — immer noch über New York, wie bei der niederländischen »Urban Dance Squad«, London, aber auch Deutschland führen würde. Am größten sei der Verkauf lokaler Musikprodukte (74 Prozent) in Japan.

Über die Lage in der ehemaligen DDR gab es noch keine Untersuchungen. Sieben Ostberliner Musiker, Plattenmacher und ein Vertreter des »Clubs 29« sorgten da auch nicht für mehr Klarheit, als sie zum Thema Eine Zone verliert ihr Gesicht eifrig redeten. Statt dessen stritten sie darüber, ob denn nun Gruppen, die in finsteren Zeiten schon veröffentlichen konnten, wie Silly oder Pankow, nun Kollaborateure waren oder nicht, blinzelten sich unterstützlerisch in ostentativer Wohlgesonnenheit an wie »Rex« von Herbst in Peking und Matthias Hoffmann (Chef des reformierten Amiga-Labels). Ein wenig deklamatorisch stellte die Musikerin Angelika Weitz fest, daß die Jugendlichen ohne ausreichende kulturelle Versorgung, ohne »musische Werte« auf die Straße gehen würden und — »so deutlich muß man das sagen« — dem nächsten »die Fresse« einhauten. Mehr oder minder einmütig beklagte man verlorengegangene Identitäten, kulturellen Zerfall, mangelnde staatliche Unterstützungen und Angelika Weitz erinnerte an wärmende alte Zeiten, als Freunde noch Freunde waren und der Freund spätnachts zum Freund gehen konnte, um ihn ums letzte Hemd zu bitten. Das hätte der auch herausgegeben.

Vor dem Hintergrund der Referenten aus den anderen osteuropäischen Ländern und ihren Zukunftsaussichten wirkte die Ostberliner Diskussionsrunde etwas jammernd und provinziell. Hatte auch der vielleicht 60jährige Juri Kapustin in seinem ausführlichen Vortrag über Sowjetische Rockkultur zwischen neuem Untergrund und Kommerzialisierung nicht viel mehr verraten, als daß »das alternative System einer großen Untersuchung und Analyse unterzogen« werden würde und daß zum Teil »primitive Musik« gespielt werden würde, so waren die Vorträge vor allem der bulgarischen Vertreterinnen hitverdächtig. Dr. Rosemarie Starelova und Dr. Elka Tschernokoshewa avancierten zu den wahren Heldinnen des Seminars. Charmant, konzentriert und sehr poetisch, sprach Dr. Elka Tschernokoshewa über Pop auf dem Balkan. »Neulinge in der Welt« seien sie, die gerade erst aus dem totalitären Regime entlassen wurden, die Wurzeln seien verloren. »Was kann Pop da schon machen?« fragte sie in den Raum, um sich selbst zu antworten: »Viel!« Denn jede Kultur sei doch »Strategie der Lebensbewältigung, die jeder macht, um sein Leben zu meistern.« Das Leben sei ein ständiger Schiffbruch, und Kultur sei das rettende »Rudern des Ertrinkenden mit den Armen«. Nicht wie die Ostberliner beklagte sie larmoyant verlorengegangene Identität, sondern hielt dafür, daß kulturelle Identität da sei und nicht zurückgebracht werden bräuchte. Ein Irrtum sei es zu denken, daß die bulgarische Kultur so sei wie »das schöne Mädchen«, das in den Wald gegangen wäre und dann wäre »was passiert«. Im »Kommerz« sieht sie eher Hoffnung denn Gefahr. »Wenn der Supermarkt leer ist, wird er zum Tempel für die Sachen, die fehlen«, ergänzte Dr. Rosemarie Statelova. Es gäbe zwar weitreichende Probleme in der Plattenproduktion — das Vinyl sei so teuer, daß kaum mehr als vier Platten im Jahr erscheinen könnten — doch gleichzeitig hätten fast alle großen Zeitungen Rockseiten eingerichtet. Mit »balkanischer Lebensfreude«, individuellem Handel, mit »Stripteaseshows auf balkan-russische Art versucht man sich irgendwie durchzulavieren. Dem angloamerikanischem »Sex & Drugs & Rock 'n‘ Roll« hielt sie die bulgarische Variante von »Musik, Bockwurst und Bier« oder »Bockwurst, Sex, Bier & Schlägerei« entgegen, pries den »wilden Tschalgar« und verwies darauf, daß Balkanrock ein Mischmasch sei aus bulgarischer Rhythmik, serbischer Sentimentalität und türkischen Einflüssen.

Die Zeit des Aufbruchs in der Musik allerdings scheint vorbei zu sein. Eine Kassettenszene kann sich kaum entwickeln, weil die Bänder zu teuer sind, die Clubs können die Musiker nicht bezahlen und die fahren vermehrt nach Schweden z.B., um dort sich ein wenig Geld zu verdienen, und werden wohl erst wieder zu sehen sein, wenn es bei kommenden Wahlen wieder gegen die »Kommunisten« geht, wie Ralf Petrov von Radio Sofia berichtete. Den 1. bulgarischen Punkstar allerdings konnte man in Gosen zumindest hören. Aufmüpfige Mitarbeiter des bulgarischen Fernsehens hatten ihren Song mit einem bemerkenswerten Video illustriert. Hübsch wippten da die nackten Brüste braungebrannter Mädchen als Symbol jugendlicher Freiheit wohl, gegen eine Reihe greiser Politikergesichter.

»Afrikanische Löhne« und »westliche Preise« bestimmen das Leben in allen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Je nach Mentalität geht man verschieden damit um. Die Situation der Jugend in Polen zum Beispiel sei »so hoffnungslos wie nie« berichtete Prof. Dr. Theresa Saviska-Klas. Auf die Hoffnungen und Popaktivitäten, die auch während des Kriegsrechts geherrscht hätten, sei eher Resignation gefolgt. Viele der Älteren wünschten sich inzwischen, daß das alte System mit seinen »hehren Werten« wiederkommen würde, um dem Nihilismus Einhalt zu bieten. Apathie und eher kurzfristige Handelsaktivitäten, bei denen hurtig raubgepreßte Erzeugnisse der Unterhaltungsindustrie eine ziemlich große Rolle spielten, hielten sich die Waage. Wenn man Polen früge, wie es weitergehen würde, sagten sie: Polen wird es bessergehen, mir aber schlechter, erzählte der Soziologe Jerzy Wertenstein von der Universität Warschau, erwähnte noch einen Hit der letzten Zeit — The ballad of the sad skin und verabschiedete sich popgemäß: »Who's Babylon? — We're Babylon. We should care.« Detlef Kuhlbrodt

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