: Wärter Onane in der Schweinebucht
■ Was man in den Ostknästen alles erleben konnte, und warum die Justizverwaltung sie wieder öffnen will/ Offener Vollzug ausgerechnet in alten Untersuchungsanstalten der Stasi geplant
Sie nannten ihn Onane. Der Mann war Schließer und erwarb sich einige Verdienste bei der öffentlichen Lächerlichmachung der DDR. »Was wolltihr 'n im Westen? Hier kamman ooch Onanen koofen«, brüllte er eines Tags im Innenhof des Stasi-Untersuchungsknastes Lichtenberg Polithäftlinge an.
Den näselnden Bananenfeind gibt es dort nicht mehr, das Regiment der mit Hammer und Sichel bewaffneten Gartenzwerge ist gefallen. Ein Gefangener von einst erinnert sich jedoch an Onane, als er die ihm bekannten Wege im Betonhof nunmehr als Pressevertreter abschreitet: Das gruselige Stasi-Gefängnis in der Magdalenenstraße steht nämlich genauso wie die anderen Ostberliner Knäste in Hohenschönhausen, Rummelsburg, Pankow und Köpenick seit Dezember 1990 leer. Das wäre eigentlich schon das gute Ende dieser Geschichte, wenn unsere Regierenden nicht bemüht wären, Kontinuität herzustellen: Von Rummelsburg abgesehen, soll in all diesen unrühmlichen Anstalten nach Umbauten weiter Strafvollzug praktiziert werden, offener Vollzug. Also auch in Lichtenberg, den der junge Ex-Gefangene als »schlimmsten« aller Berliner Knäste in Erinnerung hat.
Nicht nur, aber auch wegen der »Schweinebuchten«. Durch meterhohe stacheldrahtbewehrte Mauern wurde der Innenhof in Betonzellen unterteilt, in denen die Knackis beim Freigang einzeln zirkulierten. »Alles, was ich über dem Grau der Mauer sehen konnte, waren zwei Kirchturmspitzen«, berichtet der junge Mann, der Anfang der 80er Jahre hier einquartiert war. Doch das Gotteshaus sei auch das Gegenteil eines Zufluchtortes gewesen — »dort wurde man abgeurteilt.« Zustimmend nickt ein älterer Herr, der am selben Ort Anfang der 60er Jahre noch einige Schikanen mehr erlebte. In den überaus engen »Schweinebuchten«, so erinnert er sich, war auch noch eine gelbe Linie gezogen, die man bei Strafe nicht überschreiten durfte. Und in den — unbeheizten — Zellen »stand keine Toilette, nur eine Kübel, der zweimal täglich geleert wurde. Aber wenn man sich nicht ordentlich aufführte, vergaßen die das. Oder es gab einfach kein Klopapier. Man konnte sich eigentlich nur mit der Hand abwischen — aber es gab ja nicht mal Wasser!«
Auch jetzt noch, trotz sanitärer Einbauten, macht der Anfang des Jahrhunderts errichtete und später erweiterte Lichtenberger Knast einen fürchterlichen Eindruck. In den engen Fluren und den heruntergekommenen Einzelzellen kriegt man fast schon Erstickungsanfälle, und das kleinste Geräusch wächst sich hier zum Gedröhn aus. Und dieses Machwerk will man umbauen und wieder nutzen? Wie denn? »Dafür gibt es noch keine Konzepte«, verlautete aus der Justizverwaltung, die den Presserundgang organisierte.
»Der Stasi-Knast Hohenschönhausen war dagegen ein Erholungsheim«, befindet der junge Mann, der selbigen ebenfalls austesten durfte. Zumindest war es dort ruhig — totenstill sogar. »Auf den Fluren lagen sogar Teppiche, und die Wärter schlichen geräuschlos in Hausschuhen an unseren Einzelzellen vorbei«, berichtet der ältere Mann, als die beiden auf dem Wärter-Laufsteg über den »Schweinebuchten« stehen und ihre Erinnerungen austauschen. Seltsam still wird auch der Mann selbst, nachdem er von wochenlangen Ausharren im dortigen »U-Boot« berichtet hat: fensterlose, betonnackte Arrestzellen im Keller.
Das U-Boot wird, berechtigterweise, sicherlich irgendwann zu einem Teil einer Gedenkstätte gegen den Stalinismus. So fordern es die Opfer, so möchte es auch die Justizverwaltung. Bloß: Sie will dort gleichzeitig Gebäudetrakte für den offenen Männervollzug einrichten. Was den Verdacht erweckt, daß die Gedenkstätte nichts anderes als den Bruch symbolisieren und damit auch die Assoziationsketten über Kontinuitäten brechen helfen soll.
Verbotene Assoziationsketten gibt es auch andernorts. Unglaublich, wie das in einem programmatisch »antifaschistischen« Staat möglich war: In Hohenschönhausen, in Rummelsburg, auch im Frauenknast von Köpenick, überall surrte ein elektrisch geladener Zaun hinter der Außenmauer. »Das war nur Schwachstrom«, versichern Ex- Wärter, die dort heute als Objektschützer arbeiten. Schwachsinn war es auf jeden Fall, zuallermindest.
Und dabei galt die 1973 gebaute Frauenstrafanstalt Köpenick — im Gegensatz zu den alten Untersuchungsknästen Lichtenberg und Pankow und zur ziegelsteinernen Uralt- Strafanstalt Rummelsburg — sogar als »Vorzeigegefängnis«. Zum Vorzeigen, weil der graue Plattenbau mit den blauen Fenstergittern und Glasbausteinen ein moderner Knast ist. Und deshalb möchte ihn die Justizverwaltung auch für den offenen Männervollzug umbauen lassen.
Die Perfektion der modernen Verschlußvorrichtungen zwischen Beton und Neonlicht wirkt allerdings fast noch gruseliger als die Enge der alten Anstalten. Da hilft es nichts, wenn ein ehemaliger Wärter, der die weiblichen Gefangenen von einst auch schon mal »Bestand« nennt, auf den Sportplatz im großen Freiganghof verweist. »Zuchthaus bleibt Zuchthaus«, faßt einer der ehemaligen Gefangenen bündig zusammen.
»Abreißen«, fordert auch Albert Eckert, im Bündnis 90/ Grüne zuständig für Strafvollzug, für den Frauenknast Köpenick und für die Neubauten, die auf dem Gelände von Rummelsburg nicht unter den Denkmalschutz fallen. Dem zentralen Argument der Justizverwaltung für den Knastausbau, daß nämlich der Bedarf an Haftplätzen schnell ansteige, sobald die vereinigte Gerichtsbarkeit funktioniere, hält er die chronische Unterbelegung in den Westberliner Anstalten entgegen. Tatsächlich sind trotz der Übernahme aller nach der erfolgten Amnestie noch verbleibenden 361 Osthäftlinge derzeit nur 3.434 von 3.713 Plätzen besetzt. Was in der Tat fehle, so Eckert, seien Kapazitäten im Offenen Vollzug, um diesen endlich als Regelvollzug praktizieren zu können. Doch die könne man auch durch Umstrukturierungen der Westberliner Häuser schaffen, dafür müsse und dürfe man nicht die Stasi-Knäste wieder öffnen.
Auch für die beiden ehemaligen Gefangenen vor den »Schweinebuchten« von Lichtenberg ist das wohl ziemlich unvorstellbar. »Das möchte ich nicht noch mal erleben«, sagt der eine und wendet sich ab. Ute Scheub
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