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In der heilen DDR-Welt schlug mann nicht

Seit der Wende entstehen überall in der ehemaligen DDR Frauenhäuser und Zufluchtsstätten für mißhandelte Frauen. Ein Tabu ist gebrochen, die Gewalt gegen Frauen aber ist nicht weniger geworden. Die Hemmschwelle, zuzuschlagen, sinkt. Alkohol, Arbeitslosigkeit und Frust lassen das Klima für bedrohte Frauen härter werden.  ■ Von Helga Lukoschat

Wohin hätte sie denn gehen können? Bei Freunden und Verwandten fand sie immer nur ein paar Tage Unterschlupf, zu Hause machte ihr der Mann das Leben zur Hölle. Nirgends bot sich ein Ausweg — da hörte Heike Rogge von dem „Frauenhaus“ in Neubrandenburg. Als es hieß, es ist noch ein Platz frei, aber komm' sofort, da ist sie noch am gleichen Tag mit „Sack und Pack“ und ihrer kleinen Tochter losgezogen. „Ich war damals wirklich am Ende“, sagt die 31jährige heute.

Prügelnde Männer, Frauen, die jahrelang Mißhandlungen ertragen müssen — weil nicht sein kann, was nicht sein darf; das Problem wurde in der ehemaligen DDR einfach totgeschwiegen. „Das paßte nicht in die Ideologie von der sozialistischen Persönlichkeit“, sagt Frauenhausmitarbeiterin Kirsten Sokolowsky bitter, „die sozialistische Persönlichkeit, die schlug sich doch nicht.“ Inzwischen gibt es Zufluchtsstätten für Frauen in Kröpelin, Erfurt, Chemnitz, Leipzig, Berlin und anderen Städten. Überall sind die Häuser voll, der Bedarf ist riesengroß, und eine Vielzahl von Initiativen autonomer Frauen und aus kirchlichen Kreisen bemüht sich um weitere Zufluchtsmöglichkeiten.

Das Frauenhaus in Neubrandenburg war das erste in der ehemaligen DDR; elf Frauen und 19 Kinder sind dort zur Zeit untergebracht, jede Frau kann mit ihren Kindern ein eigenes Zimmer bewohnen, das ist schon fast ein Luxus. Es gab Zeiten, da war das Haus bis auf den allerletzten Platz belegt. Die Zimmer sind einfach — Tisch, Bett, Waschbecken und überall Kinderbetten. Am schönsten ist der Blick aus dem Fenster, in den Gärten blühen die Bäume, eine Villengegend. Heute würde das geräumige zweistöckige Haus wohl nicht mehr an die Frauen gehen, wäre ein zu attraktives „Objekt“ für die Stadtväter. Aber zur Zeit der Runden Tische war das noch anders. Leiterin Petra Gratz hatte über ihre Arbeit beim Demokratischen Frauenbund, der Frauenorganisation der SED, erfahren, wie nötig eine Zufluchtsstätte war und sich dafür eingesetzt. Das Haus gehört der Stadt, auch die Personalkosten und die Instandhaltung bezahlt die Kommune.

Neubrandenburg, rund 150 km nördlich von Berlin, galt als junge Stadt, Durchschnittsalter 31 Jahre. Es hatte die höchste Geburtenrate der Republik — und die meisten Scheidungen. Heute sind wie überall Entlassungen an der Tagesordnung, die Männer sitzen zu Hause, wissen nicht weiter. Ob die Gewalt gegen Frauen zugenommen hat? Wirken sich soziale Unsicherheit, Frust und Anspannung so aus, daß Männer eher bereit sind, zuzuschlagen? Die Frauenhausmitarbeiterinnen sind vorsichtig in ihren Antworten. Sicher sei nur, daß der Alkoholkonsum zunehme, und der spiele „eine zentrale Rolle“ bei Gewalttätigkeiten. Aber daß Frauen in den Ehen und Partnerschaften auch schon vor der Wende mißhandelt wurden, sei ebenso sicher. Erst Ende der 80er Jahre versuchten couragierte Frauen das Schweigen über alltägliche Gewalt gegen Frauen zu brechen. Aber das blieb in kleinen oppositionellen Zirkeln, konnte im Honecker-Staat kaum nach außen dringen. Und weil das Problem in der Öffentlichkeit so tabuisiert war, hatten auch die Frauen große Schwierigkeiten, sich jemandem anzuvertrauen. Im Betrieb, erzählt Heike Rogge, konnte sie über das Problem kaum sprechen; obwohl sie selbst den Eindruck hatte, auch in den anderen Ehen stehe nicht alles zum Besten, hätten viele Frauen versucht, die Fassade aufrechtzuerhalten. „Wir haben getan als ob.“

Die gelernte Wirtschaftskauffrau arbeitete im Lohnbüro einer LPG, ihr Ex-Mann war Kraftfahrer, nach Feierabend ging unter den Kumpels die Flasche rum. Wenn er nach Hause kam, wurde er aggressiv, „nichts war ihm mehr recht“. Als sie beschlossen, ein Haus zu bauen, versprach er Besserung — und nichts änderte sich. 1988 ließ sich Heike Rogge scheiden und mußte weiterhin mit ihm zusammenleben — eine Konstellation, wie sie in der ehemaligen DDR häufig vorkam. Erhielt eine Frau bei der Scheidung das Sorgerecht, wurde ihr zwar auch die Wohnung zugesprochen. Aber das bedeutete noch lange nicht, den Mann tatsächlich los zu sein. Kam er anderswo nicht unter, dann blieb er drin. Das war offiziell geduldet, schließlich gab es ein Recht auf Wohnraum, und da hatten sich geschiedene Eheleute eben die Wohnung zu teilen. Für Frauen mit gewalttätigen Männern war die Situation dann oft noch schlimmer als vorher — Heike Rogge erinnert sich, daß nach der Scheidung „gar nichts mehr ging“. Was er ihr alles angetan hat, das mag sie nicht erzählen, „das regt mich noch zu sehr auf“. Ihre wachen, hellen Augen verdunkeln sich einen Moment. Heike ist eine zierliche Frau, das halblange Haar hat einen schönen rötlichen Schimmer, offensichtlich macht es ihr Spaß, sich zu pflegen und hübsch anzuziehen. Sie hat wieder Mut gefaßt, ist eine Überlebende.

In die Frauenhäuser, Ost wie West, kommen Frauen, die seit Monaten und Jahren die Mißhandlungen ertragen müssen; keine kommt beim „ersten Mal“. „Frauen, die Grenzen ziehen, sagen, bis hierher und nicht weiter, die verstricken sich auch nicht so tief“, erklärt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses der Westberliner Caritas. Zuerst ist es vielleicht eine Ohrfeige, dann ein Fausthieb, dann Schläge mit dem Bleirohr. Wenn Männer bei geöffneten Gasflaschen ihr Feuerzeug zücken, dann ist das Fortgehen für die Frauen endgültig zur Frage des Überlebens geworden. Und erst dann kommen sie ins Frauenhaus. Es können auch psychische Mißhandlungen sein, die Frauen an die Grenze des Verrücktwerdens treiben. Auch hier gibt es scheinbar harmlose Formen. Der Mann läßt die Frau nicht ausreden, macht sie lächerlich, verbietet ihr, sich etwas Schönes zum Anziehen zu kaufen. Und es gibt den planmäßigen Psychoterror. Jede Nacht aufwecken, fertigmachen. Und schließlich die Vergewaltigungen im Ehebett.

Das soziale Klima wird härter

Beim ersten Versuch, die Hansestadt Rostock für ein Frauenhaus zu gewinnen, wurde die Fraueninitiative aus dem Umkreis des Unabhängigen Frauenverbandes noch abgeschmettert. Da hieß es am Runden Tisch: Dafür ist kein Bedarf. Doch dann suchten die Frauen ExpertInnen aus dem Fürsorgebreich, der Gerichtsmedizin. Jetzt hat das autonome Haus einen Titel im Rostocker Haushalt, zwei feste Stellen werden davon bezahlt, elf weitere Mitarbeiterinnen sind auf ABM-Basis eingestellt. Noch ist das Haus in der Umbauphase, für die „ganz schlimmen Fälle“, so Leiterin Heide Koop, stehen wenigstens Notunterkünfte bereit.

„Die Hemmschwelle, zuzuschlagen, sinkt“, hat die 46jährige beobachtet. Ähnlich beurteilt eine Expertin des Berliner Frauensenats die Situation. Mit Zahlen könne sie den Anstieg der Aggressivität, die Tendenz, den Frust an Frauen und Kindern auszulassen, nicht belegen. Unumstritten ist aber: Das soziale Klima wird härter.

Brauchbare Zahlen gibt es nicht. Die DDR machte keine Untersuchungen, und wenn es vereinzelt Statistiken gab, wurden sie streng unter Verschluß gehalten. Bei der Rostocker Polizei zum Beispiel fehlen Vergleichsdaten zu den Vorjahren, sicher ist sich der Polizeisprecher nur: „Die Dunkelziffer ist hoch.“ Bei den Sexualdelikten Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Mißbrauch kommt es in der 280.000-Einwohner-Stadt pro Woche durchschnittlich zu einer Anzeige, aber das gibt das Ausmaß, das Frauen an sexueller Gewalt erleiden müssen, bei weitem nicht wieder.

Auch in der alten Bundesrepublik gibt es keine genauen Angaben. Nicht zuletzt deshalb, weil die einfache und gefährliche Körperverletzung keine Offizial- sondern Antragsdelikte sind; das heißt Ermittlungen werden nur auf die Anzeige der Betroffenen hin aufgenommen, und viele Frauen scheuen diesen Schritt, hilft er ihnen doch in der unmittelbaren Situation der Bedrohung meist nicht weiter. Erfahren die Männer von der Anzeige, beginnt oft eine Litanei der Bedrohung und Erpressung. Zudem ist das ganze Verfahren aufwendig, Frauen müssen Zeugen vorweisen, Atteste erbringen, und wie westliche Frauenhausmitarbeiterinnen wissen, sind die Gerichte oft auch dann nicht geneigt, den Frauen Glauben zu schenken.

Wenn Frauen in der ehemaligen DDR zur Polizei gingen, dann mußten sie damit rechnen, abgewimmelt zu werden. Wie Gudrun Giebel, die alle Stellen abgelaufen und von der Polizei immer wieder nach Hause geschickte wurde, bis sie eines Tages sich in einer Dienstelle einfach auf den Boden setzte und erklärte: „Ich rühr mich nicht mehr vom Fleck!“ Tatsächlich wurde ihr damaliger Mann dann vorgeladen und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Doch noch Jahre nach der Scheidung belästigte und bedrohte er sie. Heute ist Gudrun Giebel in Rostock Abgeordnete für den Unabhängigen Frauenverband und Mitarbeiterin im Frauenhaus. Lange habe sie überlegt, ob sie das „packe“, aber jetzt sei sie sicher, ihre Erfahrungen verarbeitet zu haben. Neun und ein halbes Jahr war sie mit ihrem Mann verheiratet, ganz jung, mit 18 Jahren hatte sie ihm das Ja- Wort gegeben. Weil sie in der Schule „auffällig“ geworden war, konnte sie keine Ausbildung machen, verdiente sich als Raumpflegerin das Geld; ihr Mann trank, sie sorgte für die Familie, nur das erste halbe Jahr sei es gutgegangen. „Langsam“ hätte es angefangen, sagt sie, und: „Die Frauen verzeihen viel, dann ist es zu spät.“ Anfangs hätte sie vielleicht noch gehen können, meint sie heute, dann wurden die Gewalttätigkeiten und Drohungen zu massiv. Und wem hätte sie sich anvertrauen können? Die Mutter war von Anfang an gegen diese Heirat, sie hätte nur Recht behalten. „Und man schämt sich ja auch“, sagt sie leise, für den Mann, für sich selbst.

Zu wenige Wohnungen, zu viele Frauen

In Berlin mußte das zweite autonome Frauenhaus vor kurzem einen Aufnahmestopp verhängen, weil das Haus mit über hundert Frauen restlos überfüllt war, rund ein Drittel der Frauen kommt aus dem Ostteil der Stadt. Dort gibt es inzwischen zwar das kirchliche Frauenhaus „Bora“ im tristen Neubauviertel Mahrzahn, ein kleineres kommunales Haus; ein weiteres, autonomes Haus mit Platz für 60 Personen wird gerade umgebaut, wie in Rostock gibt es Zufluchtswohnungen. Das alles aber reicht nicht aus. Hat also doch die Gewalt gegen Frauen zugenommen? Eine Mitarbeiterin des autonomen Hauses will das so pauschal nicht bestätigen. Die Frauen in der ehemaligen DDR hätten einfach nicht gewußt wohin, wurden bei den Behörden abgewiesen oder hatten Angst, daß die Jugendhilfe ihnen die Kinder wegnehmen würde; auch das war ein wichtiges Motiv, auszuhalten. Auseinandersetzungen in der Familie, da haftete ihnen schnell etwas „Asoziales“ an, es paßte nicht ins Bild von der heilen DDR.

Aber unabhängig davon, ob unmittelbar die körperliche Gewalt gegen Frauen angestiegen ist — die Umbrüche in den Neuen Ländern werden das Geschlechterverhältnis verändern. Frauen müssen zunehmend ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, haben weniger Chancen, neue oder qualifizierte Arbeit zu finden, sind plötzlich auf den Mann als Ernährer angewiesen. Da können neue Abhängigkeiten entstehen, die Bereitschaft kann wachsen, sich mehr als früher vom Mann gefallen zu lassen. Heide Koop vom Rostocker Frauenhaus erlebt schon heute, daß Frauen bei einer Scheidung — „das war früher kein Problem“ — sich nun mit Ängsten herumschlagen, ob sie sich und ihre Kinder auch tatsächlich durchbringen können oder ob sie womöglich auf Sozialhilfe angewiesen sind. Noch haben die Frauen in den Frauenhäusern von Rostock, Neubrandenburg oder Berlin zum überwiegenden Teil Arbeit oder beziehen zumindest Arbeitslosengeld. Sie kommen aus allen Berufen und Schichten, arbeiten als Lehrerinnen, Verkäuferinnen, Ingenieurinnen.

In den westdeutschen Frauenhäusern sind es dagegen bedeutend mehr Frauen, die von Sozialhilfe leben müssen. Meist sind es Hausfrauen und Mütter, und oft sind sie auf die unzureichende staatliche Unterstützung angewiesen, weil die Männer ihnen den Unterhalt nicht bezahlen, der ihnen zusteht. Andere, darauf weisen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen ausdrücklich hin, haben ihren Arbeitsplatz erst durch die Mißhandlungssituation verloren.

In Ost wie West ist es eines der schwierigsten Probleme, eine neue Wohnung zu finden. Wobei alleinstehende erwerbstätige Frauen natürlich bessere Chancen haben als eine arbeitslose Frau mit Kindern — und am allerschwierigsten ist es für die ausländischen Frauen. Zwar können verheiratete Frauen, unabhängig von einer Scheidung, beim Familiengericht die Zuweisung der Ehewohnung beantragen, aber das Verfahren ist aufwendig und langwierig und bei weitem nicht immer von Erfolg gekrönt. Hier sind schon lange politische Initiativen gefragt, die endlich die rechtliche Situation zugunsten der Frauen verändern. Weil in Berlin die Lage so unübersehbar bedrückend ist, steht der Senat unter Handlungsdruck. Helga Korthaase, Staatssekretärin bei der Berliner Frauen- und Arbeitsministerin Christine Bergmann (SPD), läßt zur Zeit Vorschläge zur Wohnraumvergabe erarbeiten, die in eine Bundesratsinitiative münden sollen. Doch selbst wenn Frauen künftig leichter die Wohnung erhalten, bleibt das für viele Betroffene problematisch und risikoreich. Müssen sie doch befürchten, daß der Mann sie erneut heimsucht und bedroht. Mitarbeiterinnen autonomer Frauenhäuser fordern deshalb eine Bannmeilen-Regelung. Unumstritten ist diese Forderung jedoch nicht: SPD- Politikerin Korthaase ist schon aus Gründen der Praktikabilität dagegen. Um sich zu schützen, sollten Frauen eher schnell und unbürokratisch die Möglichkeit bekommen, ihre Wohnungen untereinander zu tauschen. Aber all diese Initiativen bleiben „ein Tropfen auf den heißen Stein“, wie die Frauenpolitikerin nüchtern anmerkt: „Von der gesellschaftlichen Änderung sind wir noch weit entfernt.“

Wer an die Ursachen der Gewalt herankommen will, muß mehr leisten als „Krisenintervention“, muß sich Rechenschaft ablegen über die Machtverhältnisse von Männern über Frauen, über die Selbstverständlichkeit, mit der Männer immer noch über eine Frau „verfügen“ können und all die Erziehungsmethoden und subtilen Mechanismen, die Frauen an der Entwicklung ihres Selbstwertgefühls hindern. „Damals, mit der Wende, habe ich auch angefangen, über meine eigene Geschichte nachzudenken“, erzählt Gudrun Giebel aus Rostock, die heutige Frauenhausmitarbeiterin, die so viele Jahre mit ihrem Mißhandler zusammenlebte. „Warum habe ich es so lange ausgehalten?“ habe sie sich gefragt und nach und nach, Mosaikstein für Mosaikstein verstanden: Von Kindheit an hatte sie eingeübt sich einzufügen, sich anzupassen, zu funktionieren.

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